Mein Mann, der Alzheimer, die Konventionen und ich: »LÜCKENLEBEN« von Katrin Seyfert

Foto: DVA
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Was es für eine Mutter von drei Kindern bedeutet, wenn der Mann früh an Alzheimer erkrankt

Fünf Jahre hat Katrin Seyfert ihren Mann durch seine Alzheimer-Erkrankung begleitet. Anfang 50 war er, als er die Diagnose bekam, Arzt und Vater ihrer gemeinsamen drei von insgesamt fünf Kindern. Sie hat den Familienalltag organisiert, die Finanzen, den Pflegedienst. Schließlich die Beerdigung. Schonungslos offen und brutal ehrlich erzählt sie davon, wie es ist, wenn der Partner allmählich seine Sprache und damit seine Identität verliert. Wie sie mit der Rolle hadert, die ihr erst als pflegende Ehefrau, dann als Witwe zugeschrieben wird. Und wie sie ihren eigenen Weg findet, sich mit der Lücke, die ihr Mann hinterlassen hat, zu arrangieren.

 

 

Mein Mann, die Liebe meines Lebens, bekam vor einigen Jahren Alzheimer. Er war ein stabiler, aber maulfauler Westfale mit einem großen Hang zur Lakonie. Er konnte als Arzt zwei Menschen gleichzeitig reanimieren und gab mir danach sein blutverschmiertes Hemd mit den Worten: »Kochwäsche.« Er nahm mich in all meiner Hysterie, Verrücktheit und Quirligkeit und hielt mich am Boden. Es konnte sein, dass ich mit einem chaotischen Auftrag und glänzenden Äuglein nach Hause kam und Marc schon im Flur sagte: »Egal, was es ist, ich bin dagegen.« War er dann meist natürlich nicht, aber ich wusste: Er, mein Korrektiv, schont mich nicht, aber beschützt mich, wenn die Gäule mit mir durchgehen. Wir waren so das Eiche-und-Kolibri-Modell, und wer uns besuchte, wusste nach fünf Minuten, dass Marc garantiert nicht der flatterhafte Vogel war. War.

Bis zur Diagnose war er der Starke. Und ab da musste ich sein Leben mitleben, organisieren und selbst sein Sterben in seinem Sinne planen, so wie ich auch unsere Hochzeit, die Taufe und Konfirmation unserer Kinder und so manchen Urlaub und so manchen Sonntagsausflug auf die Beine gestellt habe.

Und jetzt muss ich unser Leben planen ohne Marc. Ein Lückenleben, das es aber genauso wert ist, gemocht zu werden. Das bin ich mir, meinen Kindern und vor allem meinem Westfalen schuldig.

Aus dem Vorwort

Foto: Marianne Moosherr
Foto: Marianne Moosherr

KATRIN SEYFERT ist das Pseudonym einer freien Journalistin, Jahrgang 1971, die in Tübingen Rhetorik und Kulturwissenschaft studiert hat. Sie schreibt u.a. für die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung, Eltern und den SPIEGEL, wo sie seit 2019 auch Texte über die Alzheimer-Erkrankung ihres Mannes veröffentlicht, die regelmäßig große Resonanz bei den Leser*innen hervorrufen. Sie hat sich für ein Pseudonym entschieden, weil die Perspektive der Witwe nur einen Teil ihres Schreibens bestimmt.

 

Katrin Seyfert

Lückenleben

Hardcover mit Schutzumschlag

256 Seiten

Am 17. April 2024 bei DVA erschienen

 

22,00 € (D), 22,70 € (A), CHF 30,50*

Das Leben schlug zu, mit ihren Texten schlägt sie zurück: gegen die Konventionen, gegen die Tabus, gegen die Selbstverleugnung

 

Nach der Diagnose Alzheimer, insbesondere im jungen Alter, wird der Kampf gegen das Vergessen auch immer begleitet von einem Kampf gegen gesellschaftliche Tabus: Für die Erkrankten, für ihre Angehörigen und besonders für ihre Lebenspartner*innen.

 

Anfang 50 war er, als er als Vater von fünf Kindern und Ehemann von Katrin Seyfert die Diagnose bekam: Alzheimer. Fünf Jahre lang hat ihn Katrin Seyfert durch die Krankheit begleitet. In ihrem am 17. April bei DVA erschienenen Buch »LÜCKENLEBEN« schreibt sie gegen die Tabus, die Konventionen und die damit einhergehende Selbstverleugnung an. Sie berichtet ungeschönt und mit großer erzählerischer Kraft davon, was es bedeutet, wenn der eigene Mann mit Anfang 50 eine immer größer werdende Lücke im gemeinsamen Leben hinterlässt. - Ein beeindruckendes und sehr berührendes Buch, an dessen Ende sich jede Leserin und jeder Leser auch die Frage stellen wird, ja vielleicht muss: "Darf man über Krankheit, Sterben, Tod öffentlich reden, oder ist das immer noch ein Tabu?" Ich habe sogar über den Weg ins Vergessen - so habe ich diese Reise genannt -  ein Lied geschrieben - mit sehr gemischten Gefühlen und vielen offenen Fragen an mich selbst. ( https://youtu.be/jQgAS65ZfMw?si=g_kAtTHBMT8mwqG9  ). - Gert Holle, Herausgeber und leitender Redakteur von "WIR IM NETZ - Kultur und Glaube Aktuell / www.wirimnetz.net )

 

 


Autorin: DVA Verlag; zusammengestellt von Gert Holle - 19.04.2024