Offener Brief: Drohendes Kliniksterben infolge steigender regulatorischer Anforderungen

Der Vorstand der Evangelischen Bank: Thomas Katzenmayer, Joachim Fröhlich und Olaf Kreuzberg (v.l.). (c) Evangelische Bank
Der Vorstand der Evangelischen Bank: Thomas Katzenmayer, Joachim Fröhlich und Olaf Kreuzberg (v.l.). (c) Evangelische Bank

19.02.2024

 

(Kassel/eb) - In einem Offenen Brief an die Gesundheitsminister:innen der Bundesländer nimmt der Vorstand der Evangelischen Bank die besorgniserregende finanzielle Situation im Krankenhaussektor zum Anlass, um die Aufmerksamkeit auf einen Punkt zu lenken, der diese Situation noch einmal dramatisch verschärfen könnte: Auf die steigenden regulatorischen Anforderungen zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. 

Nachfolgend lesen Sie den Wortlaut des Offenen Briefes, den der Vorstand der Evangelischen Bank heute an die Bundesgesundheitsminister:innen der Länder gesendet hat.

[Anrede,]

gemeinsam mit Ihren Amtskolleg:innen, die für Gesundheitspolitik in den anderen fünfzehn Bundesländern verantwortlich sind, kennen Sie die derzeit äußerst angespannte finanzielle Situation im Krankenhaussektor nur zu gut: 2024 droht ein Rekord-Insolvenzjahr zu werden – mehr als 70 Prozent der Kliniken erwarten für dieses Jahr eine weitere Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation. Fast kein Krankenhaus kann seine Aufwendungen mehr aus den Erträgen decken.

Ihre Aufmerksamkeit möchten wir heute auf einen Punkt lenken, der diese Situation noch einmal dramatisch verschärfen könnte: Auf die steigenden regulatorischen Anforderungen auf nationaler und europäischer Ebene zur Erreichung der unter anderem mit dem EU Green Deal vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele.

  • Zum einen hat die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) im Sommer vergangenen Jahres die Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk) um sogenannte Nachhaltigkeitseinflussfaktoren erhöht. Dies führt dazu, dass Banken bei der Kreditvergabe auch an Krankenhäuser verstärkt auf die Einhaltung von ESG-Standards achten müssen.
  • Zum andern sehen neue Berichtspflichten nach der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor, dass große Unternehmen, zu denen auch viele Krankenhäuser gehören, künftig verstärkt über ESG-Kriterien berichten müssen. Auch dies erhöht den Druck auf die Häuser, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern.

Die zentrale Sorge, die sich aus diesen Anforderungen ergibt, ist die erhebliche Verteuerung oder sogar potenzielle Ablehnung von Krediten für Krankenhäuser, wenn sie die geforderten Nachhaltigkeitsfaktoren nicht erfüllen: Bei einem Krankenhaus, das mit seiner Immobilie das 1,5-Grad-Ziel verfehlt und sich aktuell nur auf einem 3- oder 4-Grad-Pfad befindet, muss perspektivisch mit deutlich sinkenden Beleihungswerten gerechnet werden – und hier stellt sich natürlich die Frage, woher dann die (Ersatz-) Sicherheiten für die kreditgewährende Bank kommen sollen!

Was die Änderung der Kreditvergaberichtlinien für die Kliniken bedeuten kann, haben wir unlängst in einem offenen Brief auch gegenüber Herrn Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach zum Ausdruck gebracht: Wenn Krankenhäuser keine Kredite mehr erhalten oder nur noch zu sehr hohen Zinssätzen, könnten sie in erhebliche Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer Investitionen sowie sogar ihres laufenden Betriebs geraten. Im Ergebnis könnten die Häuser gezwungen sein, Dienstleistungen zu reduzieren oder gar zu schließen – mithin drohe ein Kliniksterben bislang ungekannten Ausmaßes! Wir baten den Minister, „die Bedeutung dieses Themas zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen“.

Nunmehr bitten wir auch Sie, [Anrede,] Ihren Teil dazu beizutragen, dass der Krankenhaussektor von den Auswirkungen der steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen insbesondere finanziell nicht überfordert wird. Wir sehen durchaus, dass in der derzeitigen Situation vor allem der Bund Liquiditätshilfen zur Linderung der Finanznot vieler Häuser leisten muss. Gleichwohl appellieren wir auch an Sie, zusätzliche Mittel für investive Ausgaben bereitzustellen: Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft fehlen den Häusern hierzulande für dringende Investitionen schon jetzt jedes Jahr rund 3,7 Milliarden Euro.

Und der Investitionsbedarf wird angesichts der Vorgaben aus dem EU Green Deal weiter zunehmen: Der Krankenhaussektor ist von einem überalterten Immobilienbestand gekennzeichnet, zudem haben ökologische Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Planung von Kliniken bislang zumeist nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Folge ist ein immenser Investitionsrückstand aufgrund notwendiger Bestandssanierungen, Umbauten oder Ersatzneubauten.

Keine Frage: Die Ziele des EU Green Deal gelten auch für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft – und die Branche ist bereit, ihren Teil zur Erreichung der Klimaziele beizutragen. Gerade Krankenhäuser verfügen als Energie-Hochverbraucher über einen starken Hebel, um beispielsweise durch energetische Verbesserungen einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens zu leisten! Unsere Sorge ist allerdings: Wenn die Lasten nicht gerechter verteilt werden und der Krankenhaussektor auf dem Transformationspfad nicht mehr öffentliche Unterstützung erfährt, wird der Green Deal zur Kostenfalle für die Branche – mit dramatischen Folgen für die Gesellschaft insgesamt. Bitte helfen Sie mit, dass es dazu nicht kommt!

Freundliche Grüße

Thomas Katzenmayer, Vorsitzender des Vorstands der Evangelischen Bank

Joachim Fröhlich, Mitglied des Vorstands der Evangelischen Bank

Olaf Kreuzberg, Mitglied des Vorstands der Evangelischen Bank

 

Verteiler: 

Gesundheitsminister:innen der 16 Bundesländer (Kopie an: Bundesminister für Gesundheit)

 

Über die Evangelische Bank 

Die Evangelische Bank ist ein werteorientierter Finanzpartner mit christlichen Wurzeln. Sie gestaltet gemeinsam mit ihren Kunden in Kirche und Diakonie sowie der Gesundheits- und Sozialwirtschaft eine nachhaltig lebenswerte Gesellschaft. Um das zu erreichen, setzt die Bank auf ihr exzellentes Branchen-Know-how und bietet umfassende Finanzlösungen für den kirchlich-diakonischen und sozialen Bereich. Mit einer Bilanzsumme von 8,55 Mrd. Euro gehört die Evangelische Bank zu den größten Kirchenbanken und Genossenschaftsinstituten in Deutschland. 

Im Kerngeschäft finanziert die Evangelische Bank Projekte aus den Bereichen Gesundheit, Altenpflege, Jugend- und Behindertenhilfe, Bildung, bezahlbarer Wohnraum sowie privater Wohnbau und investiert in Vorhaben, Unternehmen und Institutionen, die für eine nachhaltig lebenswerte Gesellschaft einen positiven Beitrag leisten.

Die Evangelische Bank richtet ihr unternehmerisches Handeln nach den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) und nach den anspruchsvollen EMASplus-Kriterien aus.