10.04.2024
(Kassel/ps) – „Wir benötigen in Deutschland einen politischen Masterplan, der die Belange städtischer und ländlicher Regionen gleichermaßen berücksichtigt“, fordert Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, die in diesem Jahr vom „Vordenker Forum“ zur Preisträgerin gekürt wird. Die „Vordenkerin 2024“ spricht von einem „Masterplan 2050 ohne Zweiklassengesellschaft, der Städte und Dörfer als Partner anerkennt.“ Heiko Hauser, Geschäftsführer der Finanzberatungsgruppe Plansecur, die das Vordenker Forum initiiert hat, erklärt: „Indem Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker mit Vorschlägen zu einem Masterplan für alle Teile Deutschlands ihren Blick auf die nächsten 25 Jahre richtet, denkt sie einmal mehr ihrer Zeit weit voraus.“
Den Unmut in der Bevölkerung über die aktuelle Politik führt die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik zu einem großen Teil auf „zu einfache Antworten“ zurück, die unter anderem die teilweise gravierenden Unterschiede zwischen Großstädten und ländlichen Regionen nicht ausreichend berücksichtigen. Sie analysiert: „Die Proteste der Bauern sind auch aus dem Frust darüber entstanden, dass der ländliche Raum, in dem die Landwirtschaft eine tragende Rolle spielt, sträflich vernachlässigt wurde.“
Jeder Ort muss funktionieren und lebenswert sein
Lamia Messari-Becker spricht von einer „metropol-zentrischen Perspektive in der Bundespolitik“. Sie gibt zwei Beispiele: die Mobilitätswende mit Fokus auf Elektro-Autos bei völlig unzulänglicher Elektro-Infrastruktur und einem unzureichendem ÖPNV auf dem Land, oder die viel diskutierte Sanierungspflicht für Gebäude, die verkennt, dass es sich bei etwa einem Viertel aller davon betroffenen Bauwerke um ältere Einfamilienhäuser im ländlichen Raum handelt, mit enormen Sanierungskosten. Als Abhilfe verlangt die Vordenkerin 2024 eine unter räumlichen und sozialen Aspekten ausgeglichene Politik anstelle der „vorherrschenden städtischen Perspektive.“
„Die Politik muss für funktionierende und lebenswerte Orte sorgen“, sagt Lamia Messari-Becker. Zwar habe jeder „Raum“ seine Stärken, etwa die kulturellen Angebote einer urbanen Stadt oder die Erholungsräume einer ländlichen Region. „Aber die Grundversorgung und die Daseinsvorsorge rund um Energie, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Digitalisierung und so weiter müssen überall gewährleistet sein“, mahnt sie. Und weiter: „Im Zeitalter von Home Office liegt beispielsweise in der schnellen Internetanbindung eine besondere Chance für den ländlichen Raum. So trägt eine räumlich-inhärente Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik dazu bei, dass ländliche Räume für Menschen attraktiv werden. Auch gilt es, ländliche Leistungen anzuerkennen, etwa beim Ausbau erneuerbarer Energien, der ohne ländliche Flächen reine Illusion wäre, oder bei der natürlichen Bindung von CO2-Emissionen.“
Räumliche und soziale Entmischung überwinden
Neben der räumlichen Entmischung von Stadt und Land beklagt Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker auch eine zunehmende soziale Entmischung. Sie wird deutlich: „Vielerorts existieren ganze Stadtteile, in denen nur eine bestimmte soziale Schicht wohnt. Hier energieeffiziente Quartiere für Gutbetuchte, dort unsanierte Quartiere für Menschen mit geringem Einkommen. Das ist eine gefährliche Entwicklung für einen demokratischen Staat, der allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen will.“
Bei ihrer Forderung nach einem ganzheitlichen Masterplan setzt die Vordenkerin 2024 konsequent auf den Interessensausgleich zwischen allen Beteiligten und auf Kompromisse. Sie argumentiert: „In einer Demokratie müssen politische Prozesse unterschiedliche Interessen einbinden.“ Hierzu sollte die Politik ihrer Meinung nach die Positionen von Experten aus der Agrar- und der Energiebranche, der Ökonomie, dem Ingenieurswesen, den Umwelt- und Sozialbereichen etc. abwägen und darauf basierende Kompromisse finden. Sie führt aus: „In einer Demokratie ist der Fortschritt immer ein Kompromiss. Nur Kompromisse schaffen soziale Akzeptanz und damit Geschwindigkeit in der Breite.“
Skizze eines Masterplans für Deutschland
Wie ein Masterplan 2050 für Deutschland aussehen könnte, wird Prof. Dr.-Ing. Messari-Becker am 14. Mai auf dem Vordenker Forum skizzieren. Das Vordenker Forum ehrt seit 15 Jahren herausragende Köpfe, die maßgeblich an der Zukunft unserer Gesellschaft mitwirken, mit dem „Vordenker Preis“. Ziel der Preisverleihung durch eine unabhängige Jury* ist es, dem gesellschaftlich wichtigen Thema „Mutiges Vordenken“ Aufmerksamkeit und Gewicht zu verleihen. Die in Marokko geborene Vordenkerin 2024 zeichnet sich durch einen einzigartigen Rundum-Blick auf die ökologische, ökonomische, soziale und sozio-kulturelle Dimension des Schaffens von Lebensräumen aus. Dabei folgt die Bauingenieurin auch einem neuen Wertekompass für Nachhaltigkeit im Gebäudesektor im Einklang mit den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen.
* Zur Jury gehören der Volkswirtschaftler Prof. Dr. Gabriel Felbermayr als Vorsitzender, Prof. Dr. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweisen“), der KI-Pionier Prof. Dr. Sebastian Thrun (Vordenker 2022), der Nachrichten-Journalist Dr. Claus Kleber, Prof. Michael Binder, Ph.D., Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Makroökonomie und Empirische Wirtschaftsforschung an der Goethe-Universität, Ex-Bundesministerin Julia Klöckner, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, Wolfgang Baake, ehemaliger Beauftragter für die Deutsche Evangelische Allianz am Sitz der Bundesregierung, Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), Prof. Dr. Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, der Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser und sein Vorgänger Johannes Sczepan sowie die Finanzberater Gunther Otto und Johannes Schäffer.
Partner des Vordenker Forum 2024 sind die ALH Gruppe (Alte Leipziger-Hallesche), die Württembergische, die F.A.Z. und das House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt.
Weitere Informationen: Vordenker Forum, www.vordenker-forum.de