13.03.2024
(Berlin/bfw) - Die Unterdrückung der Zivilgesellschaft nimmt weiter zu. 2023 lebten nur noch zwei Prozent der Weltbevölkerung in Staaten mit uneingeschränkten zivilgesellschaftlichen Freiheiten. Das zeigt der 7. Atlas der Zivilgesellschaft, den Brot für die Welt heute veröffentlicht. 71 Prozent der Weltbevölkerung, das sind rund 5,6 Milliarden Menschen, leben demnach in Ländern, in denen die Machthabenden die Zivilgesellschaft stark oder sogar komplett unterdrücken. Im Fokus des aktuellen Atlas der Zivilgesellschaft stehen Menschen, die sich für Klima und Umwelt einsetzen und überlebenswichtige Ressourcen wie Wasser und Land schützen wollen. Immer mehr Regierungen und Unternehmen bedrohen und behindern die Aktivist:innen. Deutschland ist - vor allem wegen des Umgangs mit Klimaaktivist:innen - erstmals von der Kategorie „offen“ nach „beeinträchtigt“ abgestiegen. Der Atlas der Zivilgesellschaft stützt sich auf Bewertungen des weltweiten Netzwerks CIVICUS, das die Freiheitsrechte in fünf Kategorien von „offen“ bis „geschlossen“ einstuft.
„Menschen, die sich für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen, sind in vielen Ländern spürbar mehr Repressionen ausgesetzt als noch vor einigen Jahren. Sie gehören häufig zu indigenen Gemeinschaften und setzen sich gegen Landraub, Ölpipelines oder Fracking ein“, sagt Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt. „Wer für stärkeren Schutz von Wäldern und Lebensräumen oder für mehr Klimagerechtigkeit kämpft, wird immer öfter drangsaliert, verfolgt, diffamiert oder gar ermordet.“ Allein 2022 wurden weltweit 177 Land-, Umwelt- und Klimaschützer:innen getötet, die meisten von ihnen in Lateinamerika. Ein Drittel waren Indigene.
Beispiel Südafrika: Dort gab es in den vergangenen Jahren dutzende Morde im Umfeld von Kohlebergwerken – etwa, weil sich Aktivist:innen für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt hatten. Weitere Kapitel des Atlas beleuchten die Lage in Kirgisistan und Bangladesch. Der Atlas der Zivilgesellschaft zeigt auch die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft bei den internationalen Klimaverhandlungen und mit welchen Methoden dieses Engagement diskreditiert wird. Lobby-Verbände der fossilen Industrie versuchen, immer stärker Einfluss auf die Klimapolitik zu nehmen und arbeiten dabei mit unseriösen Erhebungen und Fake-News, um Zweifel am menschengemachten Klimawandel zu streuen.
Auch hierzulande hat sich die Lage für die Zivilgesellschaft verschlechtert. Deutschland ist in der Bewertung von CIVICUS erstmals von der besten Kategorie „offen“ nach „beeinträchtigt“ abgestiegen. Medienschaffende wurden etwa nicht ausreichend vor Gewalt auf Demonstrationen geschützt. Ebenso kritisiert der Atlas der Zivilgesellschaft, dass Mitglieder der „Letzten Generation“ teils mit langer, menschenrechtlich umstrittener Präventivhaft belegt wurden und Gerichte Gefängnisstrafen ohne Bewährung verhängt haben (siehe Streitgespräch Seite 38). Brot für die Welt fordert von Bundesregierung und Bundesländern, das Versammlungsrecht umfassend zu schützen und keine pauschalen Versammlungsverbote zu erlassen. Die Präventivhaft – gedacht zur Verhinderung terroristischer Gewaltdelikte – sollte nicht zur Abschreckung eingesetzt werden. „Dass Deutschland erstmals seit Beginn der Untersuchungen vor sieben Jahren herabgestuft wurde, sollte ein Weckruf sein“, sagt Pruin. „Auch in Deutschland müssen wir Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Freiheitsrechte verteidigen und uns Hass und Hetze im Internet, auf der Straße und an jedem anderen Ort entgegenstellen.“
Hintergrund:
Die Daten für den Atlas der Zivilgesellschaft basieren auf Erhebungen von CIVICUS, einem weltweiten Netzwerk für bürgerschaftliches Engagement, und der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, etwa zur Rede- oder Versammlungsfreiheit.
CIVICUS unterteilt die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in fünf Kategorien: offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen. Die Daten belegen, dass der Handlungsraum der Zivilgesellschaft nur in 37 Staaten „offen“ ist (Atlas 2023: 38). In 43 Staaten (Atlas 2023: 42) ist der Handlungsraum „beeinträchtigt“ – neben Deutschland auch Italien und Japan. 40 Länder (2023: 40) „beschränken“ den zivilgesellschaftlichen Handlungsraum, darunter die Ukraine und Großbritannien. 50 Staaten „unterdrücken“ die Zivilgesellschaft (2023: 50), wie etwa die Türkei und Tunesien. „Geschlossen“ ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure in 27 Staaten (2023: 26), darunter Venezuela und China.
Insgesamt gibt es sieben Absteiger (Deutschland, Bosnien und Herzegowina, Kirgisistan, Senegal, Sri Lanka, Bangladesch und Venezuela). Fünf Länder haben sich im Ranking verbessert: Osttimor, Benin, Lesotho, Libyen und Madagaskar.