DER DENKANSTOSS

Wegen der Himmelfahrt 

Ich versuche, mir eine Frage zu beantworten, die mich schon lange beschäftigt. Die Christen sagen am Himmelfahrtstag, Jesus Christus sei „gen Himmel aufgefahren“. Das restliche Jahr über verkündigen sie aber seine Nähe und Gegenwart in unserem Leben. Wie passt denn das zusammen? Ist der Herr fort im Himmel oder ständiger Begleiter „im irdischen Getümmel“? Ein Kollege, den ich danach fragte, meinte, ich solle das dialektisch betrachten: der Herr sei beides zugleich, fort und da, da und fort. Ich verzichtete auf Folgefragen. Sicherlich gibt es Angelegenheiten in unserer Religion, die sich nur dialektisch auf die Reihe bringen lassen. Doch ich habe den Verdacht, dass allzu vieles, das nicht besonders gut zusammen passt, auf diese Weise allzu schnell abgehakt und weggeräumt wird. Das ist nicht gut.

„Machtergreifung Jesu Christi“ ist eine gern genommene Umschreibung für die Himmelfahrt. Beim Predigen muss ich allerdings zurechtbiegende Erklärungen vorausschicken. Denn das Wort wurde von den Nationalsozialisten übel verwendet und klingt seither unsympathisch. Ohnehin gibt es viele Ohren, die von Macht nichts hören mögen. Ist der erklärende Vorspann endlich vorbei – hört mir dann überhaupt noch jemand zu? Außerdem habe ich persönlich noch ein sachliches Problem mit der Machtergreifung. Während der abendlichen Nachrichten im Fernsehen denke ich oft: Vielleicht wäre ein bisschen mehr überirdische Machtausübung ab und zu gar nicht so übel. Kriege, Gewalt, Flüchtlinge, Hunger und Armut, Unglücke und Katastrophen sind starke Argumente dafür. Mir fällt das Predigen schwer.

Ich will die Himmelfahrt ganzjährig ernst nehmen und nicht nur während des Gottesdienstes am Himmelfahrtstag. Jesus Christus ist fort, doch irgendwie ist er auch noch da. Schließlich wird von seinem Abschied berichtet, er habe gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Matthäus 28, 20). Dieses Versprechen achte ich hoch. In den alltäglichen und den besonderen Begebenheiten des Lebens tröstet und ermutigt es. „Ich möcht‘, dass einer mit mir geht …“ singen wir gelegentlich im Gottesdienst. Den himmlischen Herrn bei sich und auf der eigenen Seite zu wissen, tut gut und hilft. Sein Abschied und Fortsein haben aber auch einen Sinn für mich. Sie sind mir eine Mahnung vor allzu plumper Nähe und Vertraulichkeit. Die gibt es auch. Die Himmelfahrt setzt dem Frommsein eine Grenze des Anstands.

Nach der biblischen Überlieferung hat Jesus immer wieder einmal von seiner Abwesenheit gesprochen. Ein Herr geht für eine unbestimmte Zeit außer Landes. Den Zurückbleibenden überträgt er die Sorge für seinen Besitz. Er stattet sie aus, erteilt Aufträge und schärft ihnen Verantwortung ein. Irgendwann wird er wiederkommen. Bis dahin sind sie auf sich gestellt. Klassische Beispiele dieser Reden Jesu sind die Gleichnisse von den anvertrauten Zentnern und Pfunden. Ich verstehe sie in Beziehung auf die Himmelfahrt. Sie sollten keine Ängste wecken. Ich stelle mir Menschen vor, die Freiheiten spüren und Lebenslust kriegen, wenn sie hören, dass der Herr fort ist und ihnen etwas zutraut. Das Herr-Knecht-Verhältnis so vieler Religionsmodelle erhält von der Himmelfahrt einen Stoß. Man darf staunen!

Damit ist meine Frage nicht beantwortet. Der Widerspruch bleibt. Ohne Dialektik geht es vielleicht wirklich nicht. Dann hätte der Kollege recht. Andererseits ist etwas dabei heraus gekommen: Die Anstandsgrenze gegen fromme Kumpelei und die Erinnerung daran, dass sich eigenverantwortliches und gläubiges Leben nicht ausschließen. Immerhin.



Autor: Friedrich Fuchs
(Pfarrer in Aulendiebach, Rohrbach und Wolf mit Büches und Dudenrod)
- 16.5.2015