DER DENKANSTOSS

Unser Handgepäck 

Foto: Gert Holle
Foto: Gert Holle

Besser rollen statt falten – dann geht mehr hinein. Aber man muss eng rollen und nicht so schludrig. Und dann möglichst die Lücken mit Kleinkram füllen. Erst Jeans, dann die Schuhe – die sind am Schwersten. Und was da alles noch in die Schuhe passt? Gut, ich habe Größe 46. Flüssigkeiten und Cremes auf jeden Fall in den Koffer. Und das schicke Hemd für den Abend hinter das Netz in den oberen Bereich. Doch halt! – Auf keinen Fall die wichtigsten Dinge wie Arznei oder Elektronik in den Koffer verstauen. Denn der könnte auf dem Flug in den Süden verloren gehen. Und manchmal werden Inhalt samt Verpackung auch beschädigt. Doch wohin dann mit den lebenswichtigen Dingen? – Richtig, ins Handgepäck. Dort kommt auch die Badehose hinein. Denn sollte der Hauptkoffer verlustig gegangen sein, der Badespaß am Strand ist auf diese Weise auch gleich nach der Ankunft garantiert. Der größte Packfehler: Viel zu viel einpacken aus Angst, etwas zu vergessen oder im Urlaub dann doch genau das Kleid anziehen zu wollen, das kurz vor Kofferschließung den Weg in den Schrank antreten musste. Im Urlaub ist es nicht anders als im Alltag: man zieht doch immer nur seine Lieblingsklamotten an. Der Rest bleibt im Koffer. Folgt man diesen Regeln zum Verstauen des Urlaubsgepäcks, ist es nicht erstaunlich, dass man sich an der Abfertigungshalle im Flughafen verwundert die Augen reibt. Da hat das Handgepäck der Mitreisenden oft einen größeren Umfang als der eigene Hauptkoffer. Und manchmal kommt die Frage auf: Was haben die da wohl für wichtige Dinge drinnen?

Unwillkürlich habe ich Menschen vor Augen, die zu uns kommen. Oftmals haben sie nicht mehr dabei als die Kleider auf ihrem Leib und ein kleines Handgepäck. Nur das Allernotwendigste konnten sie mitnehmen. Vertrieben von Krieg, Terror, Diktatur, Korruption, Armut und Hunger haben sie sich aufgemacht nach Europa, um dort ein besseres Leben zu führen. Doch Europa hat die Grenzen dicht gemacht. Der einzige Weg, der den Flüchtenden bleibt, ist der Weg über die „nasse Todesroute“, übers Mittelmeer, wohin mancher von uns mit seinem Handgepäck in den Urlaub fliegt. Und die Staatengemeinschaft nimmt den Tod vieler Flüchtlinge in Kauf - um abzuschrecken. Sie mussten vieles zurücklassen: Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder. Zurückgeblieben ist ihr ganzer Besitz. Doch mitnehmen konnten sie ihre Sprache, ihre Kultur, ihr Wissen und ihren Glauben. Das alles ist ihr wertvolles Handgepäck, mit dem sie, wenn sie großes Glück haben, zu uns kommen und uns bereichern können. Gebete und Lieder, die ihnen von Kindheit anvertraut waren, begleiten sie in eine andere Welt mit ungewisser Zukunft, in eine Welt, die angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme versagt hat.

Und wir? Was wäre, wenn wir plötzlich verarmen sollten? Wenn wir fliehen müssten? – Auch uns blieben unsere Sprache, die Kultur, unser Wissen und unser Glauben. Und ich frage mich: Haben wir vielleicht so etwas wie ein religiöses Handgepäck?

Ich würde vielleicht ein Kreuzzeichen mitnehmen, mit dem ich den Tag beginne und ihn am Abend beschließen könnte – immer richtig und empfehlenswert. Oder auch das „Vaterunser“, das Gebet, das Jesus uns gelehrt hat. Bestimmt aber meine Lieblingslieder „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ und „Weite Wege“. Und natürlich eine kleine Bibel, die ein Buch vieler Flüchtlinge ist: Die Wirtschaftsflüchtlinge Abraham und Isaak; Jakob, der vor seinem Bruder Esau flieht; Moses, der erste politische Flüchtling; Elimelech und seine Frau Naomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon, die vor Hunger ins Land der Moabiter flohen; Josef, Maria und Jesus auf der Flucht vor Herodes … . -

Wie würde Ihr Handgepäck aussehen? Was geben Sie Ihren Kindern und Enkeln auf den Lebensweg mit?

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Wochenende,

Ihr Gert Holle


Autor: Gert Holle; Foto: Gert Holle - 13.6.2015