„Ich bin ein großer Fan klassischer Kirchenmusik, aber wenn alle erbaut, zufrieden und kultursatt rausgehen, hätte man es gleich lassen sollen“, sagt Rainer Bayreuther im Interview mit dem Buchreport.
Die Kirchenmusik ist zu einem Ohrensessel geworden, in dem man sehr weich und sehr tief sitzt. Zweifellos gehört die hörbare und gemeinschaftliche Ekstase unverzichtbar zur christlichen Frömmigkeit. Aber lässt sich daraus nicht viel mehr ableiten, als auf der Kirchenbank Gesangbuchlieder mit Orgelbegleitung zu singen oder den Kirchenchor auftreten zu lassen? Und ansonsten immer wieder Bach, Bach und wieder Bach. Rainer Bayreuther spricht sich in „Der Sound Gottes – Kirchenmusik neu denken“ leidenschaftlich für mehr experimentellen Mut in der Kirchenmusik, für den Einsatz auditiver Medien und die kreative Verknüpfung von digitaler und menschlicher Kommunikation aus. Gerade brandaktuell sind seine Ideen auch vor dem Hintergrund pandemischer Einschränkungen im Gemeindeleben. Das Buch ist am 4. Juni im Claudius Verlag erschienen.
Rainer Bayreuther (Jahrgang 1967) lehrt seit 2001 Musikwissenschaft an der Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und evangelische Theologie in Heidelberg. Nach Promotion in Heidelberg und Habilitation in Halle/S. vertrat er ab 2005 mehrere Professuren u. a. in Freiburg i.Br., Göttingen, Frankfurt a. M. und Trossingen. Bayreuthers Forschungsgebiet ist die Ontologie von Musik und Sound. Im Mittelpunkt steht seine Theorie von Klängen als Ereignissen. Er vertritt dabei eine physikalistische und universalienrealistische Position, inspiriert von David Malet Armstrong, Martin Heidegger und Friedrich A. Kittler. Auf dieser Grundlage (Was sind Sounds?, 2019) erforscht er die Rolle von Musik und Klang in religiösen, politischen und pädagogischen Situationen.
Rainer Bayreuther
Der Sound Gottes
Kirchenmusik neu denken
Klappenbroschur, 250 Seiten.
ISBN: 978-3-532-62859-1
€ 20,00 [D]
Im Juni 2021 im Claudius Verlag erschienen
In einem leidenschaftlichen Plädoyer für mehr experimentelle Musik in der Kirchenmusik zeigt der Musikwissenschaftler Rainer Bayreuther in seinem im Claudius Verlag Anfang Juni 2021 erschienenen Buch "Der Sound Gottes" auf, woran es seiner Meinung nach krankt: "Lange hat sich die Kirchenmusik damit abgefunden, für Gott zu tönen. Es geht darum, dass Gott selber tönt." Die Musik sei mitgefangen im grundsätzlichen Missverständnis darüber, was Gottesdienst sei. In der Kunst sieht er ein von aller theologischer Dialektik freien Akt, Gott eine Stätte seines tatsächlichen Erscheinens zu bereiten. In den zweitausend christlichen Jahren sei die Musik jedoch meistens Beiwerk gewesen, dass allenfalls Höhen und Tiefen menschlicher Existenz zum Ausdruck bringen durfte. "Sie durfte den religionspädagogischen Laufburschen spielen." Das klingt hart und zugleich ehrlich. Und Bayreuther trifft damit den Nagel auf den Kopf, was das Verhältnis von Theologen und Kirchenmusikern anbelangt. Indizien für die Göttlichkeit von Klängen gebe es in Hülle und Fülle, Die göttlichen Momente gelte es aufzuspüren. Theologen indes blieben im Ungefähren, wo sich denn Gott in der Musik befinden könnte. Der Weg der Kirchenmusik aus dieser "verkeilten Lage" müsse ein Rückweg sein - "ein Weg zurück aus den Unklarheiten des vermenschten Gottes und der vergotteten Humanität. Ein Weg zurück hinter Paulus, hinter den abstrakten Universalismus des göttlichen Offenbarseins, ein Gang in ein Gefilde, in dem sich das Göttliche unmittelbar und lokal manifestiert. "Wir haben uns in der Kirchenmusik nicht einfach zu viel Verantwortung aufgeladen. Der Fehler war, dass die musikalischen Dinge überhaupt in eine Zone der Verantwortung gezerrt wurden. Musik durfte entspannen, aber nur, um genügend Spannkraft für die anstehenden Aufträge zu haben. Musik durfte Herz, Mund und Hand anregen, aber nur zu guten Taten. Musik durfte schön sein, aber nur, wenn sie die Schönheit der Schöpfung und der humanen Krone der Schöpfung spiegelte und zur Verantwortung für sie mahnte. Musik durfte uns tief berühren, aber zugleich sollten wir aufpassen, was sie mit uns macht und was wir dann mit unserem Nächsten machen. Jetzt lassen wir es geschehen. Jeder Klang darf sich entfalten, ohne von unserer Sinnarbeit behelligt zu werden." (Seite 197)
Bis Bayreuther zu diesem nachvollziehbaren Plädoyer für eine neu zu gewinnende Bewegungsfreiheit der Kirchenmusik kommt, zeigt der Musikwissenschaftler in leidenschaftlicher Weise und durchaus mit humorvollen, teils philosophischen Einlassungen den Stand der Kirchenmusik bezüglich der Theologie in der Gegenwart und in der Entwicklung der Kirche - vorzugsweise der protestantischen - auf. Er erörtert zuvorderst den Zusammenhang von göttlicher Gegenwart, Kultus und Klang in einem religionsgeschichtlichen Durchgang, was dann sein Plädoyer als logische Folge erscheinen lässt. Die Kirchenmusik habe sich in medialen und musikalischen Eigenlogiken eingemauert, worin Gott nicht mehr hineinkäme. Er meint es ernst mit der physischen Anwesenheit Gottes im Sound und spricht sich gegen einen paulinischen Universalismus aus. "Den Sound Gottes hören, das tun alle, die Ohren haben zu hören. Ihn als solchen hören, das ist der springende Punkt." Die Harmonie des Sounds Gottes sei kein Werk einer Open Source oder einer Schwarmintelligenz, sondern einer Hidden Source".
Wem das jetzt alles zu kryptisch und unverständlich erscheint, sollte das Buch von Rainer Bayreuther auf jeden Fall lesen. Aber auch sonst bietet es viele Erkenntnisse, die die Leserschaft Kirchenmusik in einem ganz neuen Licht erscheinen und Kirchenmusik eben neu denken lässt, so wie es ja auch im Untertitel heißt.. "Der Sound Gottes. Kirchenmusik neu denken" möchte ich unbedingt allen ans Herz legen, die mit Kirche zu tun, die Freude an Musik haben und die sich auch nicht scheuen, die kritischen Worte eines engagierten Kirchenmusikers zu bedenken. - Gert Holle, Herausgeber www.glaubeaktuell.net
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Autor: Claudius Verlag; zusammengestellt von Gert Holle - 18.06.2021