„ich hasse Geduld!! Juhuu!! danke <3!“: Plattform sichert Tweet-Archiv der Autorin Ianina Ilitcheva

4.11.2025

 

(Klagenfurt/uk) - Die Autorin und Malerin Ianina Ilitcheva nutzte die Plattform Twitter in der Zeit von 2011 bis 2016 als Medium zur Publikation ihrer Literatur. Insgesamt 38.846 Tweets postete sie in der Windeseile dieser fünf Jahre. Thomas Hainscho, Philosoph, Informatiker, Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Klagenfurt und Freund von Ianina Ilitcheva, sicherte diese Tweets und macht sie im Rahmen eines Digital-Humanities-Projekts auf einer eigens geschaffenen Webplattform öffentlich zugänglich. Das Ergebnis dieser Arbeiten wird am 12. November 2025 (18:00 Uhr, Universitätsbibliothek) vorgestellt, gemeinsam mit einer Lesung aus dem Tweet-Archiv durch Magda Kropiunig.

 

21 Tweets pro Tag, in Summe rund 39.000 Tweets – das ist das beeindruckende Twitter-Werk von Ianina Ilitcheva. Die 1983 in Usbekistan geborene Autorin und Malerin kam in den 1990er Jahren mit ihrer Mutter Zinaida nach Wien, wo sie aufgrund ihrer unheilbaren Autoimmunerkrankung behandelt wurde. Die politischen Wirren rund um das Ende der Sowjetunion führten schließlich dazu, dass Ianina Ilitcheva in Wien blieb, hier die Schule absolvierte und Deutsch zu ihrer zweiten Muttersprache wurde. Ianina Ilitcheva studierte Bildende Kunst an der Akademie der Bildenden Künste und Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Ihre mehrfach prämierte Abschlussarbeit „183 Tage“ erschien 2015 in Buchform bei Kremayr & Scheriau. Für dieses Werk begibt sie sich für 183 Tage in ein soziales Exil, aus dem Notizen, Fotografien, Illustrationen, Gedichte und Tagebucheinträge hervorgehen.  

 

Ab 2011 nutzte Ianina Ilitcheva Twitter als Plattform für die Veröffentlichung ihrer literarischen Kurztexte. 2012 lernte sie dort Thomas Hainscho kennen, mit dem sie bis zu ihrem Tod eine Freundschaft im digitalen und realen Raum verband. „Twitter wird oft als Tagebuch verwendet. Ianina Ilitcheva hat über Krankheit und Sterben getwittert, sie befasste sich aber ebenso mit einer Vielzahl von anderen Themen. Sie wollte nicht als die ‚kranke Autorin‘ gelesen werden. Aber dass sie mit so viel Energie ein so intensives Werk geschaffen hat, hat auch damit zu tun, dass sie sich darüber klar war, wenig Zeit zu haben“, erklärt Thomas Hainscho. Die Beschränktheit von Zeit bringt sie auch in Tweets zum Ausdruck, beispielsweise schreibt Ianina Ilitcheva: „Ach und Geduld, die Tolle Tugend, ist was für Leute, die Zeit haben, also nein, danke.“

 

Thomas Hainscho hat in den vergangenen Monaten die Tweets aus der nunmehrigen Plattform X extrahiert und in eine logische Struktur übertragen. Dabei stand er auch in Austausch mit Rick Reuther, einem Studienkollegen Ilitchevas, der ihren Nachlass verwaltet. Bei der Sicherung der Tweets stieß Thomas Hainscho an technische Beschränkungen: „Zwischenzeitlich konnte man ohne X-Account nicht auf Tweets zugreifen. Die Plattform ändert die technischen Rahmenbedingungen immer wieder.“ Auf der Website ii.at ist das Twitter-Werk von Ianina Ilitcheva nun nachzulesen. Die Sicherung und Aufbereitung der Tweets wurde als Digital-Humanities-Projekt des KonsortiumsCLARIAH-AT gefördert. Die Fördervereinbarung dafür wurde mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) abgeschlossen.

 

Gefragt danach, welche Auswirkungen seiner Meinung nach das Medium auf die sprachlichen Werke von Ianina Ilitcheva hatte, erklärt Thomas Hainscho: „Die limitierte Zeichenanzahl befördert Kreativität. Das war etwas Besonderes an Twitter, das es nun bei X, bei dem man sich beliebig lange Sätze erkaufen kann, nicht mehr gibt.“ Die Form der Twitteratur wurde auch von Ianina Ilitcheva selbst diskutiert, so tweetete sie über Tweets und Literatur: „In Tweets lektoriert dir keiner rein, weil Tweets sind keine ernstzunehmende Literatur. Die rieseln einfach durch, im Frieden der Nacht.“

 

 

Von Ianina Ilitcheva wurden jedoch nicht nur Tweets mit literarischem Anspruch geschrieben, sondern auch etwa Essensfotos getwittert oder ihre Gartenarbeit liebevoll dokumentiert. Für Thomas Hainscho zeichnet sich Ianina Ilitcheva insbesondere durch ihre Sprachkunst aus. Sie konnte mit wenigen Zeichen Prägnantes zum Ausdruck zu bringen, und hat das mit einem mitunter derben und unverkennbaren Humor getan.