Gedenktag "Flucht und Vertreibung" am 23. Juni 2025: Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl und Weihbischof Thomas Maria Renz beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Stuttgart und bei einem gemeinsamen Gottesdienst in der Kirche St. Hedwig in Möhringen. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Nelly Swiebocki-Kisling
24.06.2025
(Stuttgart/Rottenburg/Karlsruhe/Freiburg/ekiba) - Der ökumenische und mehrsprachige Gottesdienst unter dem Leitwort «In ihrem Wohl liegt euer Wohl» (Jer 29,7b) anlässlich des Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 23. Juni in St. Hedwig in Stuttgart-Möhringen thematisierte sowohl die erfolgreiche Integration von Geflüchteten als auch das aktuell raue Gesprächsklima beim Thema Migration. Während des Gottesdienstes wurde das Projekt aus der Praxis von Sabrine Gasmi-Thangaraja vom Caritasverband Stuttgart e.V. mit vielen positiven Beispielen vorgestellt und Hürden und Herausforderungen bei der Integration in den Arbeitsmarkt von Teilnehmenden des Projekts dargestellt.
Zuvor hatten die beiden Vertreter der Kirchen in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, und Thomas Maria Renz, Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, eine Einrichtung in Stuttgart-Möhringen besucht, um die haupt- und ehrenamtliche Arbeit des Projekts „ZIFA-jobcoaching“ des Caritasverbandes für Stuttgart e.V. sichtbar zu machen und mit den Geflüchteten, die in der Initiative begleitet werden, direkt ins Gespräch zu kommen. Höhepunkt war ein gemeinsames Basketballspiel.
In seiner Begrüßung und Einführung während des Gottesdienstes berichtete Weihbischof Renz vom Ballspiel der beiden Bischöfe mit den Kindern und Jugendlichen der Einrichtung. Der Ball schaffe Begegnung und sei, wie die gelungene Integration, die Verbindung zwischen mindestens zwei Menschen. In diesem Zusammenhang lobte der Weihbischof das Projekt „ZIFA-jobcoaching“, denn, so Renz: „Eine andere Sache, die für Verbindung, Begegnung und Integration steht, ist Arbeit. Es entspricht der Würde des Menschen zu arbeiten, sich in die Gesellschaft einzubringen und an ihr teilzuhaben. Wir glauben daran, dass der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen ist. Eines Gottes, der zuerst einmal sechs Tage gearbeitet und erst dann geruht hat. Der Mensch ist dazu geschaffen, zu arbeiten, produktiv zu sein und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.“ Arbeit sei nicht nur ein Mittel zum Lebensunterhalt, sondern auch ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Identität und des Selbstwertgefühls, so Weihbischof Renz weiter: „Arbeit stiftet auch Gemeinschaft und ein Wir-Gefühl. Unser Land sei demografisch wie wirtschaftlich auf Zuwanderung angewiesen: „Dafür ist es jedoch unerlässlich, dass wir die Integration von Menschen, die zu uns kommen, zu einer Priorität in der Migrationspolitik machen. Denn nur wenn der Zugang zu Sprache, Bildung und Ausbildung, Arbeit, Wohnraum und die Teilhabe an unserem gesellschaftlichen Leben gesichert und unterstützt wird, können wir die Potentiale von Zuwanderung für die einzelnen Menschen und uns alle voll ausschöpfen“. Renz betont, seine Diözese stehe für eine offene Gesellschaft, die Vielfalt als Stärke anerkenne und auf Dialog statt Ausgrenzung setze. Bei der Vorstellung des neuen Positionspapiers der Diözese zur aktuellen Lage Flucht und Migration versichert er: „Die Fürsorge für Geflüchtete und Migranten gehört zum Selbstverständnis der Diözese Rottenburg-Stuttgart.“
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl dankte in seiner Predigt allen Unterstützenden des Projekts ZIFA: „Mich beeindruckt, wie hier geflüchtete Menschen Begleitung finden. Mich beeindruckt, wie die Mitarbeiterinnen dort die Frauen in ihrer individuellen Situation wahrnehmen und sie dabei unterstützen, ihren Platz in unserer Gesellschaft finden zu können. Das ist gelebte christliche Nächstenliebe!“
Das Motto des Gedenktags „In ihrem Wohl liegt euer Wohl“, so Landesbischof Gohl, beziehe sich auf die vielen Geschichten aus der Bibel, die von Flucht und Vertreibung handelten, Geschichten von Menschen, die in Not ihre Heimat verlassen mussten. Auch sie seien Vertriebene im Krieg gewesen, wie die Israeliten zur Zeit Jeremias, oder auf der Flucht vor Hunger oder Terror. Er nannte Beispiele und verwies auf die Bibel als wertvolle Quelle, auch für aktuelle Fragen: „Eine Hungersnot zwingt Abraham und seine Frau Sarah zur Flucht nach Ägypten. Später fliehen wieder zwei nach Ägypten – nicht wegen des Hungers, sondern wegen des Terrors des Herodes – es sind Maria und Josef mit ihrem Sohn Jesus. Damals wie heute gilt: Niemand flieht aus Lust und Laune. Die Heimat verlassen zu müssen, fällt immer schwer. Menschen fliehen, weil sie keine Lebensperspektive mehr für sich und ihre Familie sehen. Die Bibel weiß, was es heißt, fliehen zu müssen. Deshalb ist sie eine kostbare Ressource für uns heute und für die aktuelle Frage, in welcher Haltung begegnen wir Geflüchteten.“
Wie zuvor Pfarrer Martin Uhl in seinen Begrüßungsworten ging auch Landesbischof Gohl auf die völkerverbindende Rolle der Heiligen Hedwig aus dem 12. Jahrhundert ein, der Namenspatronin der Kirche St. Hedwig. Als süddeutsche Migrantin in der neuen Heimat Schlesien sei sie herzlich empfangen worden. Sie habe sich gut integriert und sich auf dieser Grundlage für die Menschen und ihr Wohl in der neuen Heimat einsetzen können. Auch Hedwig habe sich für die gute Bildung von Frauen engagiert – wie die ZIFA heute, spannte Gohl den Bogen zur aktuellen Situation. „Suchet das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum EWIGEN; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl!“, predigte Landesbischof Gohl die Sätze, die Jeremia vor 2.500 Jahren in Jerusalem schrieb. Die Adressaten, die über 1.000 Kilometer entfernt nach einem verlorenen Krieg ins ferne Babylon verschleppt wurden, wünschten sich nichts sehnlicher, als möglichst schnell wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Gohl zitierte in seiner Predigt Jeremias: „Akzeptiert Euer Los. Lasst euch in Babylon nieder! Arbeitet und betet für das Wohl des Gemeinwesens, dort, wo ihr seid“.
„Für eine gelingende Integration brauchen Menschen, die vor Krieg, Gewalt oder Verfolgung fliehen mussten, sichere Räume, in denen Begegnung, Austausch und gegenseitiges Verstehen möglich sind“, sagte im Vorfeld des Gedenktages auch Oberkirchenrätin Prof. Dr. Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg. „Verständigung ist die Brücke, über die Integration gelingt.“ Dazu gehörten nicht nur Sprachkurse oder Beratungsangebote, sondern vor allem echte Begegnungen im Alltag – in Kirchengemeinden, Schulen, Nachbarschaften oder Ehrenamtsprojekten.
Ihre Kollegin aus dem Caritasverband für Stuttgart e.V. Sabrine Gasmi-Thangaraja, Leiterin des Bereichs Migration und Integration, bestätigt die Bedeutung echter Begegnungen: „Mir geht es um die richtige Haltung und dass wir miteinander sprechen und in den Austausch gehen. Und natürlich auch nachfragen, wenn etwas unklar ist, statt die Menschen, die zu uns kommen, pauschal zu verurteilen.“
Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb, Leiterin der Hauptabteilung Kirche und Gesellschaft in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, warnte in ihren Dankesworten vor dem aktuell rauen Ton in der Migrationspolitik. Der Gedenkgottesdienst erinnere an das Leid von gestern und an unsere Verantwortung heute, so Schieszl-Rathgeb: „Als Christinnen und Christen sind wir gerufen, Brücken zu bauen statt Mauern zu errichten. Von Jesus Christus her glauben wir an die Kraft der Versöhnung, daran, dass wir als Menschen- und Glaubensgeschwister von Gott her mit derselben Würde beschenkt sind, und an den Zusammenhalt, der daraus wachsen kann. Am Ende des Gottesdienstes dankte sie nochmal allen haupt- und ehrenamtlich Engagierten, die sich für geflüchtete Menschen einsetzten: „Ihr Beitrag macht einen Unterschied. Und er macht Hoffnung.“
Hintergrund zum Projekt ZIFA:
Das Projekt ZIFA (Zielgerichtete Integration von Geflüchteten in Arbeit und Ausbildung) des Caritasverbands für Stuttgart unterstützt seit 2016 erfolgreich geflüchtete Menschen dabei, eine Arbeit oder Ausbildung zu finden und sich so in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Projekt richtet sich insbesondere an Geflüchtete, die in Unterkünften leben, und bietet ihnen dort gezielte Beratung und Unterstützung an. Seit 2019 liegt der Schwerpunkt auf der Förderung von geflüchteten Frauen. ZIFA hilft den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ihre Talente und Fähigkeiten in der neuen Heimat einzusetzen und so ihre berufliche Zukunft aktiv zu gestalten. Das Projekt wird durch den Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfen der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Stadt Stuttgart sowie Eigenmittel finanziert und hat seit seiner Einführung viele Geflüchtete erfolgreich auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt begleitet.
Hintergrund zum Gedenktag:
Der Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung ist ein in Deutschland seit dem Jahre 2015 jährlich am 20. Juni zeitgleich mit dem Weltflüchtlingstag stattfindender Gedenktag. An dem Tag wird der weltweiten Opfer von Flucht und Vertreibung und insbesondere der deutschen Vertriebenen gedacht. Der Gedenktag wurde durch Beschluss der Bundesregierung vom 27. August 2014 eingeführt. Aufgrund der Feiertage begeht Württemberg den Gedenktag in diesem Jahr erst am 23. Juni.