DER DENKANSTOSS

Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft …

Foto: canva.com
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Von Gert Holle 

 

Jochen Klepper, geboren am 22. März 1903 in Beuthen/Schlesien, gilt als einer der bedeutendsten evangelischen Liederdichter überhaupt. „Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr“ - wer öfters den Gottesdienst besucht, hat dieses Lied schon gesungen. Ein gutes Dutzend Liedtexte in unserem Gesangbuch stammen von Jochen Klepper, der es mit seinem Gott alles andere als leicht hatte. Seine Tagebücher „Unter dem Schatten Deiner Flügel“ nehmen uns hinein in die Zeit Hitler-Deutschlands, mit hinein in das Leben eines christlichen Dichters, der das jüdische Schicksal teilt. Der Pfarrerssohn Jochen Klepper hatte 1931 die Jüdin Hanni Stein geheiratet. Zwei kleine Töchter brachte die Witwe mit in die Ehe. Unter den Rassegesetzen der Nazis wurde es ihm wegen dieser Ehe schwer gemacht zu publizieren; je länger desto mehr drohte die Zwangsscheidung und die Deportation von Ehefrau und Stieftochter Renate. Als sich das Netz mehr und mehr zuzog, nahm sich die Familie die einzige Freiheit, die ihr noch geblieben war: In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 setzten sie ihrem Leben in der heimischen Küche im Haus im Berliner Westend unter einem Bild des segnenden Christus selbst ein Ende. - Lieder tiefen Glaubens, Lieder angefochtenen Glaubens, Lieder, die vom Licht singen mitten in finsterer Zeit hat Jochen Klepper uns hinterlassen. In wirren Zeiten wusste er sich gehalten von Gott und dichtete bereits 1933:

 

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,

ohne Gott ein Tropfen in der Glut,

ohne Gott bin ich ein Gras im Sand

und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.

Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,

bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.

 

Der bedeutende österreichische Schriftsteller, Maler und Pädagoge Adalbert Stifter sagte im 19. Jahrhundert: „Die großen Taten der Menschen sind nicht die, welche lärmen. Das Große geschieht so schlicht wie das Rieseln des Wassers, das Fließen der Luft, das Wachsen des Getreides“. Wie weit entfernt scheint mir dieser Ausspruch von unserer heutigen Wirklichkeit zu sein. Einer Wirklichkeit, die durch die modernsten Techniken fast in jeder Sekunde des Tages an uns herangetragen und mitgeprägt wird. Das Laute hat Konjunktur, die modernen Marktschreier schaffen Helden. Das Kleine wird zur Sensation erklärt und ebenso schnell wieder fallen gelassen.

 

„Die großen Taten der Menschen sind nicht die, welche lärmen.“ Es sind Begebenheiten, über die man nur selten spricht, so wie über das Leben von Jochen Klepper. Wahrscheinlich kennen Sie solche bemerkenswerten Taten im Verborgenen auch nur zu gut. Und die Menschen, die diese Taten vollbringen: Der Rentner, der zweimal in der Woche für die Tafel mehrere Stunden Nahrungsmittel aus Geschäften abholt und so anderen in ihrer Not hilft. Der Trainer im Fußballverein, der seit über 20 Jahren ehrenamtlich den Jüngsten das Kicken beibringt. Die Hausfrau, die in der Hausaufgabenhilfe Kindern die Bildungschancen verbessert. Der Junge, der im Sommerurlaub wie selbstverständlich den Nachbargarten mit Wasser versorgt. Die zahlreichen Helfer, Bundeswehrsoldaten, Studenten, die beispielsweise Flutopfern zur Seite stehen. Menschen, die ihre Zeit, ihre Gaben, oft auch ihr Geld in den Dienst einer höheren Sache stellen – so selbstverständlich und „schlicht, wie das Rieseln des Wassers, das Fließen der Luft, das Wachsen des Getreides.“ Und was treibt diese Menschen an, was ist ihre Motivation?

 

 

Jochen Klepper hätte geantwortet: „Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft, bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Wochenende! 


Autor: Gert Holle - 29.09.2023