22.07.2025
(Linz/Wien/ae) State of the ART(ist) ist ein internationaler Wettbewerb, der gemeinsam von Ars Electronica und dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten durchgeführt wird. Prämiert werden außergewöhnliche Projekte von Kunstschaffenden weltweit, die mit Krieg, politischer Verfolgung, Umweltkatastrophen, sozialer Ungleichheit oder eingeschränkter Meinungsfreiheit konfrontiert sind. 2025 gab es 506 Einreichungen aus 76 Ländern. Jetzt stehen die Preisträgerinnen und Preisträger fest.
Der mit 6.000 Euro dotierte Hauptpreis geht an David Shongo (CD) und das Filmprojekt Café Kuba, das auf den anhaltenden Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo referenziert. Auf den Spuren eines Kaffeewagens, der zum versteckten Aufnahmegerät wird, tauchen die Zuschauerinnen und Zuschauer in die fragmentierte Geschichte und fragile Gegenwart der Millionenstadt Kinshasa ein. David Shongo fragt danach, wie man einen Ort, der geprägt ist von Instabilität, Krieg und Ressourcenausbeutung, filmisch festhalten kann, während man selbst existenziellen Bedrohungen ausgesetzt ist. Er erfindet mit Café Kuba ein „flüchtiges Kino“ (fugitive cinema), eine subtile filmische Praxis, die im Verborgenen stattfindet, und zum Zuhören anregt.
Zwei Auszeichnungen vergeben
Darüber hinaus werden zwei Awards of Distinction verliehen, die jeweils mit 2.000 Euro dotiert sind. Anet Sandra Açıkgöz (TR) wird für die Videoinstallation Fugue ausgezeichnet, die anhand eines Ballspiels thematisiert, wie es die Türkei verabsäumt, sich der eigenen Geschichte drastischer Menschenrechtsverletzungen zu stellen.
Issa Touma (SY) und die Art-Camping-Community in Aleppo werden für das Projekt Losing the freedom of choice prämiert, das inmitten des syrischen Bürgerkriegs seine Anfänge nahm. Mit Fotos und Kurztexten wurden die Geschichten, Ängste und Perspektiven junger syrischer Frauen dokumentiert. Im Mittelpunkt steht die Generation der 1990er Jahre, die im Krieg aufgewachsen ist, und deren persönliche sowie berufliche Herausforderungen im jungen Erwachsenenalter oft keine Beachtung finden.
Weiters vergab die Jury – bestehend aus Sergio Fontanella (CU), Marita Muukkonen (FI), Ivor Stodolsky (DE/FI), Simon Mraz (AT) und Christl Baur (DE) – sechs Honorary Mentions.
„Kunst ist Freiheit – doch Freiheit ist immer weniger selbstverständlich. Weltweit sehen sich Künstlerinnen und Künstler zunehmenden Einschränkungen ausgesetzt. Sie erschweren ihre Arbeit oder bringen sie ganz zum Schweigen. Mit State of the ART(ist) haben wir für sie einen Resonanzraum geschaffen: Er gibt ihnen eine Stimme, die sonst nicht gehört wird. Von Linz aus senden wir ein starkes Signal in die Welt – für künstlerische Freiheit, für Vielfalt und für den Dialog, der unsere Gesellschaft weltweit zusammenhält.“
Staatssekretär Sepp Schellhorn in seiner Zuständigkeit für Auslandskultur im Außenministerium
„506 Einreichungen aus 76 Ländern zeigen eindrucksvoll, wie entschlossen sich Kunstschaffende weltweit mit politischen Konflikten, Krieg, Zensur und klimatischen Extremen befassen, kreative Protestformen entwickeln und solidarische Alternativen denkbar machen – und das oft unter prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Initiative State of the ART(ist) trägt dazu bei, diesen Positionen internationale Sichtbarkeit zu verschaffen.“
Gerfried Stocker, Artistic Director Ars Electronica
Kunstwerke online und in Linz zu sehen
Eine Auswahl der prämierten Projekte wird auf dem Ars Electronica Festival 2025 von 3. bis 7. September in der POSTCITY in Linz präsentiert. Die feierliche Preisverleihung findet am Donnerstag, den 4. September 2025, im Design Center Linz im Rahmen der Prix Ars Electronica Award Ceremony statt. Online finden sich die Werke in der Virtuellen Kunsthalle (Spatial.io), wo sie langfristig zugänglich bleiben.
Über State of the ART(ist)
State of the ART(ist) wurde 2022 gemeinsam von Ars Electronica und dem Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten ins Leben gerufen – damals als unmittelbare Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Seither hat sich die Initiative zu einer weltweiten Plattform entwickelt, die Kreative fördert, die durch systemische Bedrohungen – wie politische, soziale oder ökologische Konflikte – in ihrem künstlerischen Wirken eingeschränkt werden. Gesucht werden Arbeiten, Projekte und Aktionen im Spannungsfeld von Kunst und Menschenrechten.
State of the ART(ist) 2025 – Hauptpreis
Café Kuba
David Shongo (CD)
“Against the backdrop of war, colonial aftershocks, and economic exploitation, Shongo invents a ‘fugitive cinema’ — a practice of radical listening forged in movement, concealment, and survival. […] Café Kuba maps the city not only as geography, but as a body marked by trauma, resistance, and unfinished struggle. The jury awards Café Kuba the 2025 State of the ART(ist) main prize for its aesthetic precision, conceptual clarity, and unflinching engagement with one of the world’s most enduring and underacknowledged conflicts. In a moment when visibility is dangerous and silence is imposed, this work dares to listen. It is a deeply moving political-poetic response to survival in times of collapse—and a powerful example of what art can offer when the world turns away.”
Auszug aus dem Jurystatement
David Shongo reflektiert in seiner künstlerischen Arbeit historische, politische und ökonomische Dynamiken in der Demokratischen Republik Kongo. In seinem Filmprojekt Café Kuba spürt der Künstler den Verbindungen zwischen kolonialem Erbe, kollektivem Gedächtnis, sozialen Spannungen und urbaner Realität nach. Es ist eine direkte Reaktion auf den anhaltenden Konflikt im Osten des Landes – insbesondere auf die Einnahme der Städte Goma und Bukavu durch die M23-Miliz im Februar 2025 – und seine weitreichenden Folgen für die Bevölkerung und das kulturelle Schaffen.
Der Film lädt Rezipientinnen und Rezipienten dazu ein, in die Millionenstadt Kinshasa einzutauchen und Teil eines filmischen und gleichermaßen akustischen Erkundungsprozesses zu werden. Zentraler Ausgangspunkt des Films ist das Café Kuba – ein umgebauter Kaffeewagen aus dem Straßenbild Kinshasas, den David Shongo in ein mobiles Aufnahmegerät verwandelt hat, um entlang seiner Wege den Klang, die Stimmen und das soziale Gefüge der Stadt einzufangen. Aus diesem immersiven Ansatz, der das städtische Treiben gewissermaßen festhält, entsteht ein sensorisches Archiv des Widerstands, das Zuhören als politische Praxis begreift – ein „fugitive cinema“, das in Zeiten von Unsicherheit, Zensur und Gewalt neue Erzählformen findet.
Eine zweite fiktionale Ebene eröffnet sich durch die sogenannten „Spirit of Death“-Busse, gelenkt von drei stummen, maskierten Figuren. Ihre Köpfe sind mit Elektroschrott bedeckt – ein Verweis auf die wirtschaftlich motivierten Konflikte um strategische Rohstoffe, deren Abbau mit Millionen Todesopfern verknüpft ist. Die Figuren verkörpern die Spannung zwischen einer schmerzhaften Vergangenheit, einer instabilen Gegenwart und einer ungewissen Zukunft.
Mit Café Kuba gelingt David Shongo – selbst in Kinshasa lebend – eine künstlerische Reflexion über Erinnerung, Identität und geopolitische Gewalt. Für diese Arbeit erhält er den State of the ART(ist) Hauptpreis 2025 sowie ein Preisgeld in der Höhe von 6.000 Euro.
Credits
Produced by Tommy Simoens Gallery & Studio 1960
Executive Producers: Tommy Simoens & David Shongo
Production Management: Olga Sherazade Pitton
Assistant Directors: Kevine Booto & Divin Kayanga
Cinematography: David Shongo
DoP: Kevin Booto
Costume Design: Divin Kayanga
Sound Recording: Djoe Wamba
Sound Engineering: David Shongo
With: Christian Tamba, Celeo, a.o.
State of the ART(ist) 2025 – Award of Distinction
Fugue
Anet Sandra Açıkgöz (TR)
Die Videoinstallation Fugue thematisiert das Versäumnis des türkischen Staates, sich mit der eigenen Geschichte drastischer Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen und sich traumatischen Erinnerungen zu stellen. Die armenische Künstlerin Anet Sandra Açıkgöz sieht diese kollektive Verdrängung immer wieder bestätigt: Staatsverbrechen häufen sich, unterliegen Verjährungsfristen oder werden im rechtlichen Kontext bewusst mehrdeutig gehalten. Das Projekt macht sichtbar, wie Genozid, Pogrome und Massenmorde zunehmend hinter einem Schleier aus Straflosigkeit und Vergessen verschwinden.
Veranschaulicht wird diese systematische Verdrängung durch die Metapher eines einfachen Ballspiels: So wie Spielerinnen und Spieler dem Ball ausweichen, entziehen sich Täterinnen und Täter der Verantwortung. In jedem neuen „Spiel“ – jeder politischen Krise – tauchen dieselben Täterinnen und Täter wieder auf, schreiben die Regeln nach Bedarf um, weichen dem Ball aus, und werden, selbst wenn sie getroffen werden, nicht disqualifiziert. Hier klärt sich auch der Projekttitel: Fugue leitet sich vom lateinischen fugere (fliehen) und fuguare (verfolgen) ab, und ist im musikalischen Kontext als mehrstimmige Kompositionsform bekannt.
Credits
This project was realized in 2023 with the support of the Ali Ismail Korkmaz
Foundation’s Young Artist Fund.
State of the ART(ist) 2025 – Award of Distinction
Losing the freedom of choice
Issa Touma und Art Camping (SY)
Der Fotograf Issa Touma ist Gründer der „Le Pont Organization“ in Aleppo, die die einzige Fotogalerie der Region betreibt. Women We Have Not Lost Yet ist ein eindrucksvolles Buchprojekt, das mit Fotos und Texten die Geschichten syrischer Frauen dokumentiert – und dabei auf die Generation der 1990er Jahre fokussiert, deren persönliche sowie berufliche Herausforderungen im Kontext von Krieg und Unruhen oft unbeachtet bleiben.
Im April 2015 suchten junge Menschen Zuflucht in der Galerie, als bekannt wurde, dass eine große militärische Operation der Extremisten die Stadt treffen sollte. Viele von ihnen kannten sich bereits durch das Kunstprojekt Art Camping, das 2012 von Le Pont als Reaktion auf den Syrienkonflikt initiiert worden war. Während die Kämpfe andauerten, entschieden sich zwanzig anwesende Frauen und Issa Touma, eine „letzte Nachricht aus Aleppo“ zu hinterlassen, und dafür Fotografie und persönliche Erfahrungen, Träume und Ängste zu verschmelzen. Später folgte eine Fortsetzung mit einem zweiten Band voller Frauen, die auf das Leben und Erwachsenwerden im Krieg zurückblicken. Das Projekt porträtiert Einzelschicksale mutiger Frauen unterschiedlicher Hintergründe, Religionen und Ethnien in einem Land, in dem Krieg und Zerstörung den Alltag und die Zukunft bestimmen.
Credits
Thanks to all the women for their courage to share their stories and thanks also to
the Art Camping members for all the work and time they gave.
State of the ART(ist) 2025 – Sechs Honorary Mentions
Спомини [Spomyny]
Sophia Bulgakova (UA)
Dear Jafar,
Maksym Khodak (UA)
Dust of the Ancestors – Resisting Through Clay
Oumar Sango (ML)
Friends of Fearness
Marwa Abu Raida (PS)
Pamalandong sa Danow (Reflection in the Marsh)
Breech Asher Harani (PH)
The Hole Open It
Mariam Ghalayan (AM)