16.07.2025
Von Simone Bastreri
(Trier/sb) – Hinter der blau-roten Zeltplane bricht Jubel aus, über 100 Kinder klatschen und trampeln, was das Zeug hält: Gerade hat Zirkuspädagoge Paul es geschafft, vier übereinander gestapelte Stühle nur auf dem Kinn zu balancieren. Doch Paul stimmt die Jungen und Mädchen lediglich auf den nächsten Workshop ein, denn eigentlich sind es die Kinder, die hier in der Manege und damit im Mittelpunkt stehen. Der Mitmachzirkus Zappzarap hat sein großes Zelt im Park hinter dem Brüderkrankenhaus Trier aufgeschlagen. Hier können sich in den ersten drei Wochen der Sommerferien Kinder von sechs bis 13 Jahren in Akrobatik, Artistik oder Clownerie erproben. Die jeweils einwöchigen Zirkusfreizeiten des Jugendzentrums MJC Mergener Hof („Miez“) gehören zu den beliebtesten in Trier – jedes Jahr sind sie nach wenigen Stunden ausgebucht.
„Wir haben schon unser System auf ein Losverfahren umgestellt, damit es fairer ist“, lacht Sarah Stephani, eine der verantwortlichen Pädagoginnen der Miez. In den Workshop-Pausen flechtet sie den Kindern bunte Strähnen ins Haar oder bastelt mit ihnen, genau wie die rund 20 betreuenden „Crewmitglieder“, die teilweise selbst noch im Jugendalter sind. Eine von ihnen ist Hedi. Die 17-Jährige war als Kind selbst begeisterte Teilnehmerin und ist seit einigen Jahren als ehrenamtliche Betreuerin dabei. „Normale Freizeiten mit Ausflügen kennen ja viele, aber hier am Trapez üben oder mit Feuer spielen – das macht den besonderen Reiz aus. Man muss sich teils auch überwinden und mutig sein, um dann am Ende der Woche vor den Vorhang zu treten und das vor Freunden und Familie in der Manege zu zeigen – das hat wirklich was mit einem gemacht“, blickt sie zurück.
Genau das ist es, was Zirkuspädagogin Maren Cremer (38) schon seit 17 Jahren an diesem Beruf fesselt und fasziniert. „Das, was ich am Zirkus so schätze, ist, dass wir alle Menschen auf ihre Art eingebaut bekommen. Ich muss Kindern nichts beibringen, was sie nicht wollen oder sie zu jemand anderem machen, als sie sind. Ich kann sie auf ihre Art glänzen lassen. In so einer Zirkuswoche kriegen alle ein Gefühl dafür, wie gut es ist, dass wir so verschieden sind. Dass es Leute gibt, die gut in Akrobatik sind, andere im Zaubern und wieder andere Spaßvögel sind. Und dass wir in unserer Verschiedenheit ein großes Ganzes Schönes kreieren.“ Mit ersten Erfahrungen als Straßenakrobatin suchte Cremer als junge Frau während ihres Studiums zur Heilpädagogin eine Möglichkeit, Hobby und Beruf zu verbinden. Durch ein Praktikum fand sie zur Zirkuspädagogik und tourt seitdem durch ganz Deutschland. „In der Gesellschaft gibt es einen hohen Leistungsdruck, oft sollen wir in ein ganz enges vorgegebenes Kistchen passen. Und ich finde es wunderschön, Menschen in dieser Woche das Gefühl zu geben, dass sie genau richtig sind, so wie sie sind. Denn dadurch, dass wir alle unsere Ecken und Kanten haben, kann dieses große bunte Puzzle entstehen. Das ist etwas, was wir vielleicht oft predigen oder durch Regeln und Bestimmungen umzusetzen versuchen, aber hier im Zirkus können wir das mit Leben füllen.“
Der siebenjährige Lio hat sich fürs Zaubern entschieden und führt Kunststücke am Diabolo vor. Ihm gefällt aber auch das „Drumherum“: „Man findet direkt neue Freunde und man kann ganz verschiedene Sachen ausprobieren. Wir können hier Fußball und Football spielen.“ Auf die Aufführung freut sich Lio schon, denn dann erwarte die Zuschauer*innen ein spannender Trick, bei dem ein Kind in einer Kiste von Schwertern durchstoßen wird. „Ich weiß, wie das funktioniert, aber verrate ich natürlich nicht“, grinst er. Bei der zehnjährigen Merle aus Konz wird auf den ersten Blick klar, dass sie ein Bewegungstalent ist: Sie schlägt Rad, vollführt einen Handstand und balanciert aus dem „Brücke-Stand“ mit einer Hand einen drehenden Teller auf einem Stab. Dabei ist sie bei den Clowns und der Jonglage eingeteilt. „Als Clowns haben wir gelernt, sehr starke Emotionen zu zeigen, also wir sollen richtig froh oder richtig wütend rüberkommen.“ Auch Merle spürt schon die Vorfreude auf die Aufführungen am Ende der Woche: „Ich freue mich, dass ich zeigen kann, was ich in nur einer Woche gelernt habe. Vieles konnte ich vorher nicht.“
Der Ansatz, alle Kinder so anzunehmen, wie sie sind, abseits von Religion oder kulturellem Hintergrund, prägt seit jeher die Arbeit in der katholisch getragenen Miez. Matthias Ludwig ist seit rund einem Jahr neuer Leiter des Jugendzentrums und freut sich über den regen Zulauf zu den Zirkusfreizeiten. „Wir betreuen hier über 300 Kinder, darüber hinaus bieten wir auch eine Auslandsfreizeit nach Dänemark oder den Ferienspaß an. Für uns ist das ein riesiger Zugewinn. Den Erfolg der Freizeiten kann man ja auch daran ablesen, wie viele junge Leute sich entscheiden, später noch als Betreuer*innen ehrenamtlich zu helfen.“ Möglich sind die Freizeiten auch durch die gute Kooperation mit dem Brüderkrankenhaus, das für einen leckeren Mittagstisch sorgt und im Gästehaus die Zirkusleute beherbergt.
Weitere Informationen gibt es auf www.mjctrier.de.