Kommunikation über Bläschen

Med Uni Graz erforscht Archaeen-Vesikel und ihre Bedeutung für das Darmmikrobiom

Christine Moissl-Eichinger und Viktoria Weinberger. Credit: Med Uni Graz
Christine Moissl-Eichinger und Viktoria Weinberger. Credit: Med Uni Graz

8.08.2025

 

(Graz/mug) - Mikroorganismen im menschlichen Darm stehen in ständigem Austausch – untereinander und mit ihrem Wirt. Eine neue Studie der Medizinischen Universität Graz, veröffentlicht im renommierten Fachjournal Nature Communications, zeigt nun, wie Archaeen – eine bisher wenig erforschte Gruppe von Mikroorganismen – diesen Austausch über winzige Bläschen, sogenannte Vesikel, steuern. Die Forschung wurde von Viktoria Weinberger als Erstautorin und dem Team von Christine Moissl-Eichinger am Diagnostik- & Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin durchgeführt.

 

Kommunikation durch Mini-Pakete

 

Organismen haben eine Vielzahl von Möglichkeiten entwickelt, wichtige Informationen zu teilen und über verschiedene Zellen, Gewebe und Organe zu verbreiten. Dies kann z. B. beim Menschen durch Hormone oder die Reizleitung über das Nervensystem passieren.

 

Aber auch die Mikroorganismen im Mikrobiom des Menschen müssen miteinander und mit dem Menschen „sprechen“. Dies geschieht u. a. durch kleine membranumhüllte Pakete, die sogenannten Vesikel. Während Vesikel bei Bakterien bereits seit Jahren Gegenstand intensiver Forschung sind, war über die entsprechenden Mechanismen bei Archaeen bislang wenig bekannt.

 

Was sind Archaeen?

 

Archaeen sind einzellige Mikroorganismen, die eine eigene Domäne des Lebens bilden – neben Bakterien und Eukaryoten (zu denen auch der Mensch zählt). Lange Zeit galten sie als uralte Sonderlinge, die nur in extremen Lebensräumen wie heißen Quellen oder Salzseen vorkommen. Heute weiß man, dass sie auch in weniger extremen Umgebungen leben, etwa im menschlichen Darm, wo sie u. a. für die Methanproduktion zuständig sind. Dort stellen sie einen wichtigen, aber bislang wenig erforschten Bestandteil des Mikrobioms dar. Im Gegensatz zu Bakterien unterscheiden sich Archaeen in ihrer Zellstruktur, ihren Stoffwechselwegen und ihrer genetischen Ausstattung – was sie zu einem spannenden Forschungsfeld macht.

 

Wie Archaeen mit Menschen kommunizieren

 

„Wir konnten zeigen, dass auch Darm-Archaeen aktiv extrazelluläre Vesikel bilden, mit denen sie ihre Umgebung beeinflussen“, erklärt Viktoria Weinberger. „Diese Pakete enthalten Proteine, Nukleinsäuren, Stoffwechselprodukte und Lipide – und sind somit ein vielseitiges Werkzeug zur Kommunikation mit anderen Mikroorganismen oder dem menschlichen Immunsystem.“

 

Das Team aus Graz hat mit Kolleg*innen aus Norwich (UK) und Wien nun erstmals die Zusammensetzung extrazellulärer Vesikel von vier unterschiedlichen Darm-Archaeen detailliert untersucht.

 

„Unsere Ergebnisse liefern wichtige Hinweise darauf, dass auch Archaeen aktiv in die molekularen Kommunikationsprozesse im Darm eingreifen“, sagt Christine Moissl-Eichinger, Letztautorin der Studie. „Das eröffnet völlig neue Perspektiven für die Mikrobiomforschung – insbesondere im Hinblick auf die Rolle von Archaeen in Gesundheit und Krankheit – und ihre Wirkung auf das Immunsystem.“ Die Arbeit entstand im Rahmen eines vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs (SFB) zum Thema „Immunometabolismu, der von Prof. Thomas Weichhart an der Medizinischen Universität Wien geleitet wird. Interessanterweise lösen die Vesikel in Abhängigkeit von ihrer Konzentration und abhängig von Archaeenspezies oder -stamm eine Cytokinausschüttung in Epithel- und Immunzellen aus.

 

Was steckt in den Päckchen?

 

Die archaeellen Vesikel zeigten neben einer Vielzahl besonderer Proteine aber auch interessante Metabolite, darunter z. B. die freien Aminosäuren Glutamat und Aspartat, die bereits als sogenannte Neurotransmitter bekannt sind.

 

„Es könnte durchaus sein, dass diese Archaeen uns aktiv Signale senden – etwa über abrupte Veränderungen im Darmmilieu“, so Christine Moissl-Eichinger. „Besonders spannend ist nun die Frage, wie diese Vesikel mit dem Immunsystem interagieren und ob sie sich therapeutisch nutzen lassen, etwa als Trägersystem für Impfstoffe oder Medikamente.“

 

Die Studie legt damit den Grundstein für ein besseres Verständnis darüber, wie Mikroorganismen im menschlichen Darm nicht nur koexistieren, sondern gezielt miteinander interagieren – mit potenziellen Auswirkungen auf Immunreaktionen, Stoffwechselprozesse und möglicherweise auch auf Erkrankungen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder Darmkrebs.

 

Link zur Studie:
https://doi.org/10.1038/s41467-025-60271-w

 

 

Steckbrief: Christine Moissl-Eichinger

 

Christine Moissl-Eichinger ist seit 2014 Professorin an der Med Uni Graz und leitet eine Forschungsgruppe am Diagnostik- & Forschungsinstitut Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin. Thematisch beschäftigt sie sich mit der Interaktion von Mikroben untereinander und mit ihrer Umgebung, z. B. dem menschlichen Körper. Der Schwerpunkt liegt auf der Erforschung der Funktion von Archaeen im menschlichen gastrointestinalen Mikrobiom. Sie ist Direktorin der Forschungsinitiative BioTechMed Graz, Co-Direktorin des Cluster of Excellence „Microbiome drive Planetary Health“ und hat kürzlich einen ERC Advanced Grant eingeworben.

 

Steckbrief: Viktoria Weinberger

 

 

Viktoria Weinberger ist PhD-Studentin in der Arbeitsgruppe von Christine Moissl-Eichinger am Diagnostik- & Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin. Im Rahmen ihrer Dissertation arbeitet sie an Archaeen aus dem menschlichen Darm. Ziel ist es dabei, diese wenig erforschte Gruppe an Mikroorganismen besser zu charakterisieren und die Interaktion bzw. Kommunikation mit anderen Mikroorganismen und dem menschlichen Wirt, besonders mit dem Immunsystem, zu untersuchen.


Autorin: Med Uni Graz; zusammengestellt von Gert Holle - 8.08.2025