GPT statt www: Brauchen wir das Internet noch?

WORTLIGA / KI-Bild
WORTLIGA / KI-Bild

Das Internet ist die Lebensgrundlage sehr vieler Unternehmen – und der Verlage. KI stellt sie auf den Kopf. Aber noch leben die Chatbots von den Informationen des freien Netzes. Eine Faktensammlung.

 

18.06.2025

 

(München/ wortliga/gw) - Jeder merkt den Wandel des Webs durch künstliche Intelligenz. Doch ersetzt KI den Menschen und das Web als Informationsquelle? Laut einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne überzeugen Chatbots wie GPT-4 in Online-Debatten bereits mehr als Menschen. In 64 Prozent der Fälle wirkte die KI einleuchtender als ein Mensch [1]. Wie wirkt sich diese Tatsache auf das Internet aus?

Trotz KI-Explosion: Google legte rund 20 % zu in 2024

Aktuellen Daten von SEMrush und Datos zufolge verzeichnete Google Search im Jahr 2024 ein Wachstum von etwa 20 %. Google verarbeitete damit in 2024 rund 373-mal mehr Suchanfragen als ChatGPT. [2] Und das, obwohl die KI-Übersichten der Suchmaschine im Jahr 2024 noch lang nicht überall auf der Welt verfügbar waren.

Google bleibt mit einem Marktanteil von über 83 Prozent bei Desktop-Suchmaschinen und 95 Prozent bei mobilen Suchen der dominierende Akteur. [3]

Die Suchmaschine verarbeitet täglich etwa 5,8 Milliarden Suchanfragen und generiert rund 63 Prozent des gesamten Website-Traffics. Zwar führt Google zunehmend KI-generierte Antworten ein, doch diese basieren auf Inhalten bestehender Websites.

Wie viele verlieren Unternehmen durch KI-Antworten?

Eine Studie von Kevin Indig und Eric Van Buskirk zeigt, dass durch Googles AI Overviews weniger Menschen auf Links klicken: Auf dem Desktop sinkt die sogenannte Click-Through-Rate um bis zu zwei Drittel, auf mobilen Geräten fast um die Hälfte [4]. Für Websites bedeutet das weniger Besucher durch Suchmaschinen.

Gleichzeitig lohnt sich ein Blick auf die Qualität solcher Besuche: Die durchschnittliche Verweildauer auf B2B-Websites beträgt nur 1 Minute und 34 Sekunden, bei B2C-Unternehmen sogar nur 1 Minute und 24 Sekunden [5]. Von Klicks, die nur kurze Besuche bringen, haben Webseitenbetreiber schon jetzt wenig. Solche Besuche erzeugten schon vor der KI-Ära keinen nennenswerten Einnahmen – Verlage ausgenommen.

 

KI-Systeme brauchen das InternetWoher stammen die Informationen, die KI-Systeme nutzen? Sie lernen von vorhandenen Web-Inhalten. Ohne die Milliarden von Webseiten im Google-Index hätten ChatGPT, Perplexity oder Microsoft Copilot eine dünne Wissensbasis.

Eine Adobe-Studie offenbart sogar positive Effekte für Websites: Nutzer, die über KI-Systeme auf Webseiten gelangen, zeigen laut Studie ein um acht Prozent höheres Engagement und rufen zwölf Prozent mehr Seiten pro Besuch auf. Die Absprungrate liegt 23 Prozent niedriger als bei anderen Quellen [6].

Werden Menschen schneller lernen als KI? Dass KI keine zuverlässige Informationsquelle ist, zeigen die einfachsten Suchanfragen. / WORTLIGA
Werden Menschen schneller lernen als KI? Dass KI keine zuverlässige Informationsquelle ist, zeigen die einfachsten Suchanfragen. / WORTLIGA

Menschen fragen die KI eher nach Banalitäten

Bemerkenswert ist das unterschiedlich hohe Vertrauen in KI je nach Kontext:

- Bei allgemeinen Informationen vertrauen über 70 Prozent der Deutschen den Ergebnissen von KI-Anwendungen und überprüfen diese nicht. [7]

- Bei medizinischen Ratschlägen sinkt das Vertrauen deutlich, sobald Menschen glauben, dass diese von einem Chatbot stammen. [8][9]

Diese Zahlen zeigen: Menschen suchen je nach Kontext ganz unterschiedliche Quellen – von schnellen KI-Antworten bis hin zu tiefgehenden Expertenmeinungen.

Und die Menschen liegen mit ihrem Misstrauen richtig: Eine Columbia Journalism Review-Studie belegt: KI-Suchsysteme liegen häufig falsch – im Schnitt in über 60 Prozent der Fälle [10]. Das zeigt die bleibende Bedeutung verlässlicher menschlicher Quellen.

Das Internet ist tot – es lebe das Internet

 

Google wurde zu Beginn des KI-Booms schnell totgesagt – und bald könnte laut Experten wie Prof. Mario Fischer auch das freie Internet verschwinden. 10 bis 15 Jahre gibt der Professor für Wirtschaftsinformatik an der FH Würzburg dem Netz noch. [11] Er nennt das freie Web auf LinkedIn sogar eine Übergangstechnologie. [12]

Doch festlegen will auch Fischer sich nicht. In der Beschreibung seines Vortrags heißt es, dass „die klassischen HTML-Webseiten und Angebote vielleicht verschwinden und durch virtuelle AI-Assistenten ersetzt werden“ könnten. [11]

Sicher ist: Weniger wertvolle Klicks verschwinden, während Nutzer gezielter zu Inhalten gelangen. Der Erfolg vieler Unternehmen hängt zunehmend von der Qualität ihrer Web-Inhalte ab.

Antwortet KI bald zuverlässiger als bei der Frage nach Auto-Abmessungen, könnte sie dauerhaft als ernstzunehmende Informationsquelle dienen – und als Filter von Inhalten, die nur für Suchmaschinen erstellt wurden.KI braucht das freie Internet dringend. Anders gesagt: Sollte das Web irgendwann verschwinden, haben auch ChatGPT und Google ein Problem.

Gidon Wagner / Credit: Thomas Bauer
Gidon Wagner / Credit: Thomas Bauer

 

 

Über den Autor

Gidon Wagner ist Experte für Online-Kommunikation, KI und Verständlichkeit. Er ist Geschäftsführer der WORTLIGA Tools GmbH. Das Unternehmen entwickelt Werkzeuge für professionelle Texte – darunter die WORTLIGA Textanalyse für verständliche Sprache und ansprechende KI-Texte sowie den WORTLIGA Ghostwriter, ein KI-System für faktenbasiertes Schreiben nach journalistischen Standards. Wagner ist Autor des Fachbuchs Der Klartext-Effekt (Springer Gabler) und berät unter anderem Generali und die Tagesschau.

Quellen

[1] www.spektrum.de/news/k...en/2267692
[2] https://sparktoro.com/...n-chatgpt/
[3] www.seo.com/de/blog/se...tatistics/
[4] www.netzoekonom.de/202...en-laesst/
[5] databox.com/blogging-statistics
[6] the-decoder.de/webseiten-zugriffe-aus-ki-suchen-nehmen-laut-adobe-studie-rasant-zu/
[7] www.sueddeutsche.de/wi...li.3245716
[8] www.uni-wuerzburg.de/a...r-chatgpt/
[9] www.pharmazeutische-ze...ge-149071/
[10] www.campixx.de/magazin...ft-falsch/
[11] https://www.campixx.de...-seo-ende/
[12] https://www.linkedin.c...bdomain=de

 

 


Autor: Gidon Wagner /WORTLIGA; zusammengestellt von Gert Holle - 18.06.2025