15.09.2025
(München/ergo) - Egal ob auf Geschäftsreise, Familienbesuch oder dem Weg in den Urlaub: Verspätungen und Zugausfälle gehören für Bahnreisende fast schon zum Alltag – und sorgen für viel Frust. Besonders dann, wenn wichtige Termine ins Wanken geraten. Welche Rechte Reisende dann haben und was sie im Fall der Fälle tun können, weiß Sabine Brandl, Juristin der ERGO Rechtsschutz Leistungs-GmbH.
60 Minuten
sind zu viel: Welche Rechte haben Reisende, die die Fahrt abbrechen?
Für Reisende ist es immer wichtig, ihre gesetzlichen Fahrgastrechte zu kennen. Ist schon bei der Abfahrt oder infolge eines Zugausfalls absehbar, dass sie mindestens 60 Minuten verspätet am Ziel
ankommen, können sie zwischen drei Möglichkeiten wählen: Möglichkeit 1 ist die Erstattung des vollen Fahrpreises innerhalb von 30 Tagen für den nicht mehr durchgeführten Teil der Reise - oder für
die ganze Reise, wenn diese durch die Verspätung sinnlos geworden ist. Ergibt sich das Problem bei einem Zwischenstopp, kann der Bahnfahrer auch eine Rückfahrt zum ersten Ausgangspunkt verlangen.
Möglichkeit 2 ist die Fortsetzung der Fahrt, ggf. mit geänderter Streckenführung, zur nächsten Gelegenheit. Möglichkeit 3 ist die Fortsetzung der Reise zu vergleichbaren Bedingungen zu einem
späteren Zeitpunkt.
Wer
trotzdem weiterfährt, kann einen Anspruch auf Entschädigung haben
Reisenden, welche die Fahrt fortsetzen und die Fahrpreiserstattung nicht in Anspruch nehmen, steht bei Verspätungen von mindestens 60 Minuten eine Entschädigung von 25 Prozent des Ticketpreises
zu. „Verzögert sich die Ankunft um mindestens 120 Minuten, zahlt das jeweilige Bahnunternehmen sogar 50 Prozent zurück“, erklärt Sabine Brandl, Juristin der ERGO Rechtsschutz Leistungs-GmbH.
„Diese Rechte gelten übrigens auch bei Streiks oder schlechtem Wetter.“ Einzig in Ausnahmen wie einer Verschuldung durch Dritte, extremen Witterungsbedingungen, Naturkatastrophen,
Polizeieinsätzen, Notfällen im Zug oder Sabotage zahlt das Bahnunternehmen keine Entschädigung. Gleiches gilt beispielsweise auch bei Unfällen im Bahnübergangsbereich und Notarzteinsätzen am
Gleis, wenn diese nicht vom Bahnunternehmen zu verantworten sind. Reisende enthalten keine Entschädigung, wenn Ihnen schon vor dem Ticketkauf Informationen zur Verspätung zur Verfügung standen.
Keine Entschädigungsbeträge gibt es, wenn der Betrag unter vier Euro liegt.
Ausnahmen
gelten für Zeitkarten
Besondere Regelungen gelten für Zeitkarten. Auch hier bekommen Reisende eine Entschädigung, allerdings richtet sich deren Höhe nach den Entschädigungsbedingungen des Bahnunternehmens. So erhalten
zum Beispiel bei der Deutschen Bahn Inhaber einer Bahncard 100 bei Verspätungen von mindestens 60 Minuten in der Zweiten Klasse eine pauschale Entschädigung von 10 Euro. Es gibt maximal 25
Prozent des Zeitkartenwertes als Entschädigung.
Diese
Fristen gilt es zu beachten
Für das Einreichen von Beschwerden gilt nach der EU-Fahrgastrechteverordnung offiziell eine Frist von drei Monaten. Viele Bahngesellschaften räumen allerdings eine Kulanz von bis zu einem Jahr
ein. Trotzdem empfiehlt es sich, Ansprüche möglichst schnell und innerhalb der Dreimonatsfrist geltend zu machen. Die Formulare für Entschädigungsanträge gibt es auf der Internetseite des
Betreibers oder direkt beim Bordpersonal, bei der Deutschen Bahn auch in Reisezentren. „Wichtig ist, alle Belege zur Fahrt gut aufzubewahren“, rät Brandl.
Weiterfahrt mit anderen
Verkehrsmitteln
Kommt es zu Verzögerungen der Ankunft von mindestens 20 Minuten oder Zugausfällen, entfällt zum Beispiel bei der Deutschen Bahn automatisch die Zugbindung. „Reisende im Nahverkehr können dann
einen beliebigen anderen Nahverkehrszug des Unternehmens nutzen. Wer in einen höherwertigen Zug wie einen IC oder ICE umsteigen möchte, muss sich jedoch ein anderes Ticket kaufen“, erläutert die
Juristin. „Die Kosten können sich Betroffene beim Servicecenter für Fahrgastrechte erstatten lassen.“ Dies gilt jedoch nicht für stark ermäßigte Fahrkarten wie das Deutschland-Ticket oder
spezielle Ländertickets. Hier müssen Reisende die Mehrkosten selbst tragen. „Wer mit einem Fernverkehrs-Ticket unterwegs ist, kann beim Wegfall der Zugbindung mit diesem Ticket auf alle
DB-Fernverkehrs- oder Nahverkehrszüge umsteigen“, weiß Brandl. Auch Taxikosten übernimmt die Bahn unter Umständen. Wenn der letzte Zug des Tages ausfällt oder die Ankunft sich zwischen
Mitternacht und fünf Uhr morgens um mindestens 60 Minuten verspätet, erstattet die Bahn bis zu 120 Euro der Taxikosten. „Dieser Schritt bedeutet zwar zunächst eine Vorauszahlung, erspart aber
lästige Wartezeiten“, ergänzt die ERGO Expertin. Betroffene sollten den Taxifahrer unbedingt nach einer Rechnung fragen. Voraussetzung der Erstattung ist, dass die Bahn kein anderes
Verkehrsmittel zur Verfügung stellt und dass kein Kontakt zum Unternehmen möglich ist.
Betreuung
und Unterbringung bei längeren Ausfällen
Stranden Reisende für eine längere Zeit am Bahnhof, müssen Bahnunternehmen Unterstützung leisten: Bereits ab einer Stunde Wartezeit oder bei einem Zugausfall muss die Zuggesellschaft kostenlos
Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit bereitstellen, soweit diese im Zug oder am Bahnhof verfügbar sind oder sich die Lieferung noch zu vernünftigen Kosten
durchführen lässt. „Dies ist kein freiwilliger Service, sondern ein in der EU-Verordnung über Fahrgastrechte klar geregelter Anspruch“, erklärt Brandl. Lässt sich die Fahrt am selben Tag nicht
mehr fortsetzen, muss das Bahnunternehmen die Hotelkosten inklusive Fahrt dorthin übernehmen – je nach Umstand sogar für bis zu drei Nächte. Hier ist es wichtig, die Übernachtung vorher mit der
Zuggesellschaft abzustimmen.
Praktische
Tipps und Must-haves für den Fall der Fälle
Vorbereitung ist alles, besonders bei einer langen Bahnfahrt: Eine geladene Powerbank hält das Smartphone auch bei stundenlanger Verzögerung oder gar Stromausfall im Waggon funktionstüchtig, sei
es für die digitale Fahrplanauskunft, die Fahrgastrechte-App, Erreichbarkeit im Notfall oder eine Streaming-App für den Zeitvertreib. Auch Kopfhörer, Kartenspiele, eine Wasserflasche und ein
kleiner Snack im Gepäck können einen Unterschied machen – vor allem für Reisende mit Kindern. Und sollte es doch zu einem Totalausfall des Zuges kommen, gilt: Ruhe bewahren und gezielt handeln.
„Wer seine Rechte kennt, reist auch bei Störungen souveräner und kommt am Ende sicher ans Ziel“, resümiert Brandl.