Gedanken zum Sonntag Rogate 27 Mai 2025: Mit dem Herzen beten
Von Gert Holle
Eine jüdische Legende erzählt: Als der Bescht bestraft wurde, weil er versucht hatte, die Erlösung zu beschleunigen, vergaß er sein Lehramt; und seine ganzen Fähigkeiten wurden ihm genommen. "Sprich ein Gebet", flehte ihn sein Diener an. - "Welches?" fragte der Bescht, "ich habe alles vergessen. Und du?" - "Ich auch", sagte der Diener, "ich erinnere mich lediglich an das Alphabet..." Und der Bescht rief: "Aber was wartest du dann? Sag mir das Alphabet; und ich will es nach dir wiederholen." Und er sagte die Buchstaben des Alphabets mit solcher Inbrunst auf, dass ihm sein Wissen und seine Fähigkeiten wiedergegeben wurden. - Ja, so kann es manchmal mit dem Beten sein. Es fehlen einem die Worte, obwohl man doch so viele gelernt hat. Ob es, wie in dieser kleinen Geschichte geschildert, mit dem inbrünstigen Aufsagen des Alphabets dann getan ist? Sie werden bestimmt zweifeln.
Wann haben Sie sich das letzte Mal an Gott gewandt? Anlässe hätte es sicher in ihrem Leben in den letzten Monaten genug gegeben, mit Gott in ein vertrauliches Gespräch zu treten. Der kommende Sonntag heißt Rogate. Dies bedeutet übersetzt: Bittet! Betet! Dieser Sonntag erinnert uns: Bete doch mal wieder! Und er macht uns darauf aufmerksam, dass wir im Gebet nicht allein sind. Einmal jemanden haben, der zuhört. Einmal jemanden haben, der sieht, der versteht. Einmal alles, was das Herz schwermacht und die Seele bedrückt, abgeben, sich befreien von der Last. Gott lädt uns ein, unser Leben mit ihm zu leben, Beziehung zu leben. Er lädt uns ein, alles, was erfreut, alles, was traurig macht, alles, was uns mit Dankbarkeit erfüllt, in seine Hände zu legen. Er wartet darauf. Er wartet auf uns alle. Der Schöpfer des Himmels ist Tag und Nacht für uns Menschen da und hört uns gerne zu. In der Bibel wird uns die Zuversicht mitgeteilt: „Wir vertrauen ganz fest darauf, dass Gott uns hört, wenn wir ihn um etwas bitten, das seinem Willen entspricht“ (1. Johannes 2 Vers 14). Keiner muss an dieser besonderen Kommunikation zweifeln. Denn Gott möchte gerne, dass wir unser Herz ihm gegenüber öffnen, ihm sagen, was uns bedrückt, ängstigt. Oder wir können ihm einfach danken. Oft ist es der Stress im Alltag, der Gebete hemmt, und so mancher hat das Gefühl, gar nicht beten zu können, ohne den Grund dafür zu kennen. Doch wir dürfen Gott direkt bitten und dabei darf es durchaus auch um die Freude in unserem Leben gehen. Meistens bringen wir ja lediglich unsere Ängste und Nöte vor Gott - um sie los zu werden. Ja, wir dürfen auch unsere Freude vor Gott bringen. Und die wird durch dieses Kundtun dann auch noch ins Vollkommene gesteigert. Dieser Gedanke gefällt mir besonders gut. Denn meist sehen wir doch im Zusammenhang mit „Beten“ Bilder von Katastrophen, Trauer und bedrückenden Schicksalen. Da ist es doch wirklich einmal tröstlich zu hören, dass es beim Beten auch um Freude gehen kann! Daran möchte ich auch denken, wenn ich mit Gott ins Gespräch komme: Dass ich auch einmal von meiner Freude rede! Das entkrampft und befreit und lädt ein zu einem Lachen.
Wer das innige Verlangen verspürt, sich Gott mitteilen zu wollen, der kann sich ganz bewusst eine persönliche Zeit festlegen, die es ihm gestattet, sich zu konzentrieren und kann dann sein Anliegen offenlegen. Es kann beim Spaziergang in der freien Natur sein, auf dem Ruhelager, im stillen Kämmerlein, einfach überall, wo man ungestört sein kann. Wenn es an Konzentration fehlen sollte, kann man mit wenigen Worten anfangen und sich von Mal zu Mal steigern. Wichtig ist aber dabei, dass man fest davon überzeugt ist, dass Gott diese Gebete erhört, denn Zweifel hemmt die Verbindung.
Manchmal braucht es für ein Gebet nicht einmal Worte. Eine Empfehlung der ersten Mönche der Christenheit ging ungefähr so: „Lass deine Gedanken zur Ruhe kommen und stelle dir vor, wie sie in dein Herz sinken. Höre auf zu denken und nimm einfach wahr – wie der Atem kommt und geht, wie dein Herz regelmäßig schlägt!“ Dabei haben die Mönche das Atmen mit einem kurzen Gebet verbunden - oder sie haben einfach den Namen Jesus Christus ausgesprochen. Es ging weniger darum, über Jesus nachzudenken, als vielmehr zu lauschen, wie dieser Satz im Herzen klingt. Ein aufmerksames „In-sich-Hineinhören“. Atem, Herzschlag und Gebet werden so eine Einheit. Das Herz betet. Die Mönche sprachen vom immerwährenden Herzgebet, das uns allezeit begleitet. Wer will, mag es versuchen: Das Einatmen mit „Christus“ verbinden – dann das Ausatmen mit dem Namen „Jesus.“ Einatmen Christus – Ausatmen Jesus. So kann der Glaube im Herzen wahrgenommen werden. So kann Gottes große Liebe in uns ankommen.
„Gott ist bei dir, wie der Boden, der dich trägt. Gott ist bei dir, wie die Luft, die du atmest. Gott ist bei dir, wie das Brot, das dich stärkt. Gott ist bei dir, wie das Wasser, das dich erfrischt. Gott ist bei dir, wie das Haus, das dich schützt. Gott ist bei dir, wie die Sonne, die deinen Tag hell macht.“ Mit diesen Worten des Theologen und Schriftstellers Rainer Haak wünsche ich Ihnen und Euch eine gesegnete Woche. Ihr und Euer Gert Holle
Autor: Gert Holle - 18.05.2025