Mit dem Rad von Wadern nach Santiago de Compostela

Seite an Seite bis Santiago

Christian und Mika Wagner pilgerten mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela. © Wagner
Christian und Mika Wagner pilgerten mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela. © Wagner

3.10.2025

 

Mika (14) und Christian Wagner (43) aus Wadern-Oberlöstern sind 2147 Kilometer mit dem Rad von Wadern nach Santiago de Compostela gepilgert. Eine Reise, die Vater und Sohn eng zusammenschweißte.

 

Von Ute Kirch

 

(Wadern/uk) – Als Mika und Christian Wagner die beiden hohen barocken Türme der Kathedrale von Santiago de Compostela sehen und auf dem großen Platz ihre Räder an eine Mauer lehnen, verschlägt es ihnen zunächst die Sprache: Sie haben es tatsächlich geschafft! „Nach fast einem Monat im Sattel war es ein zutiefst bewegender Moment, dort zu stehen: erschöpft und stolz zugleich, besonders auf meinen Sohn, der das mit nur 14 Jahren geschafft hat“, beschreibt Christian Wagner seine Emotionen. „Da hatte ich Tränen in den Augen.“ In 28 Tagen legten Vater und Sohn aus Wadern-Oberlöstern 2147 Kilometer mit dem Fahrrad nach Santiago de Compostela zurück – über Berge, Flüsse und alte Pilgerpfade. „Wir wollten gemeinsam unterwegs sein, den Alltag hinter uns lassen, neue Eindrücke sammeln und die Herausforderung annehmen. Der Jakobsweg bot genau das: eine Mischung aus Abenteuer, innerer Einkehr und internationaler Begegnung“, sagt der 43-Jährige.

 

Mehrere Stunden bleiben die beiden auf dem Platz vor der Kathedrale und genießen die Atmosphäre: Pilger, die erschöpft, aber glücklich angekommen und sich in die Arme fallen – dort treffen sie auch zufällig Weggefährten, die ihnen unterwegs begegnet sind. Im Pilgerbüro von Santiago holen sie sich ihre Compostela – die Urkunde, die ihre Ankunft als Pilger offiziell bestätigt. Anschließend besuchen sie die Pilgermesse. „Auch wenn wir kein Spanisch sprechen, war der Ablauf der Messe so wie in Deutschland. Bei den Liedern hatten wir echt Gänsehaut“, blickt Wagner zurück, der im Hauptberuf Werkzeugmacher-Meister ist. Vor zehn Jahren ist er bereits einmal die Strecke vom Saarland in den berühmten Pilgerort gefahren und wollte diese Erfahrung noch einmal machen. „Da habe ich spontan gemeint, dass ich mitkomme“, sagt Mika, der die neunte Klasse am Gymnasium in Wadern besucht. Radfahren ist neben dem Fußball sein großes Hobby.

 

Einfach, gastfreundlich und offen

Groß trainiert vor der Abfahrt haben die beiden nicht: „Das Training war die Fahrt“, meint Vater Christian. Aber natürlich wurde eine Generalprobe gemacht, ob das Gepäck sich gut auf den Rädern verstauen lässt. Neben Wechselkleidung mussten Zelt, Schlafsäcke, aufblasbare Isomatten und Campingkocher untergebracht werden. In den großen Sommerferien war es dann so weit: Nach dem Unterricht am 3. Juli ging es los – vorher hatten sie sich in Trier ihre Pilgerausweise abgeholt. Unterwegs an den Stationen sammelten sie Stempel als Nachweis, dass sie den Weg zurückgelegt haben.  Auf der Wegstrecke sammelten die beiden noch zahlreiche Sehenswürdigkeiten ein: die Gedenkstätte der Schlachtfelder von Verdun, den Eiffelturm in Paris, die Schlösser der Loire. Lange mussten sie die Strecke nicht planen, da sie den Stationen von Christians Reise 2015 folgten. In Frankreich übernachteten sie meistens auf Campingplätzen. „Doch einmal hatten wir Pech: Als wir abends nach unserer Tagesetappe ankamen, mussten wir feststellen, dass der Campingplatz für immer geschlossen war“, sagt Christian. Also mussten sie noch 40 Kilometer weiter bis zum nächsten Platz draufsatteln. „Das war mit 135 Kilometern unsere längste Etappe, im Schnitt sind wir 75 Kilometer gefahren.“ In Spanien übernachteten sie in Pilgerherbergen, den sogenannten Albergues. „Sie spiegeln den Geist des Jakobswegs wider: einfach, gastfreundlich und offen für Begegnungen.“ Auch wenn ein Schlafsaal mit bis zu 60 Personen eine Herausforderung darstellen kann.

Auch wenn in erster Linie die Abenteuerlust im Vordergrund stand, hatte der Jakobsweg für beide auch eine religiöse Dimension. „Wir haben die Kirchen und Kathedralen auf der Wegstrecke besucht und Kerzen angezündet. Ich finde es schön, dort für sich einkehren und seine Gedanken ordnen zu können“, sagt Christian Wagner. Über den WhatsApp-Status und Facebook hielten die beiden ihre Freunde auf dem Laufenden. Dabei wurde auch ein Freund aus Brasilien auf die Pilgertour aufmerksam und berichtete in einem brasilianischen TV-Sender über die beiden.

 

„Man braucht nur wenig zum Leben“

Von Pannen blieben die beiden Pilger verschont: „Wir hatten keinen Platten und auch sonst kein technisches Problem“, sagt Christian Wagner. Nur die Bremsbeläge seines Rads mussten nach 2000 Kilometern in Léon ersetzt werden. Nicht alle Etappen sind auch für Radler geeignet. Manche Passagen sind zu felsig, andere voller Kies. „Da mussten wir teilweise Berge runterschieben, da es sonst zu gefährlich gewesen wäre.“ Alle paar Tage änderte sich die Landschaft: von der weiten Champagne über die Metropole Paris und das Loire-Tal bis hin zum Atlantik mit seinen langen, weißen Stränden, die Pyrenäen, wüstenähnliche Passagen um Léon, dann wieder das grüne Galizien. Über Burgos, León und das sagenumwobene Cruz de Ferro auf 1504 Metern Höhe ging es immer weiter nach Westen. „Es gab Tage, da wurden wir von der Landschaft getragen – und andere, an denen nur der Wille weiterhalf. Doch wir hielten durch – Seite an Seite.“ Ans Aufgeben dachte Vater Christian nicht ein einziges Mal. Bei Sohn Mika gab es zwei, drei Tiefpunkte, als kurz vor der Loire der Rücken anfing zu schmerzen oder als es mal vier Stunden nur bergauf ging. „Aber spätestens abends beim Etappenziel war alles wieder gut.“

Auch das Wetter spielte größtenteils mit. Nur kurz vor Paris und in den Pyrenäen wurden sie von Regen überrascht. In Spanien herrschten meist um die 30 Grad, doch als anstrengender empfand Christian Wagner die Kälte – beim Anstieg über die Pyrenäen sank das Thermometer auf 12 Grad. Den Hitzerekord markierte hingegen ein Tag in Südfrankreich mit 45 Grad. Unterwegs treffen sie viele Menschen aus der ganzen Welt – vor allem aus Kanada, den USA, Südkorea und den Niederlanden und kommen ins Gespräch. „Man braucht gar nicht so viel zum Leben. Ein Rucksack, ein bisschen Wäsche, etwas zu essen – das reicht“, haben die beiden festgestellt. Zu Hause hänge er zu oft auf der Couch, findet Christian. Auf dem Camino habe er gelernt, den Tag und die Zeit effektiver zu nutzen. „Das ist auch etwas, was ich beibehalten möchte.“Ob die beiden ein weiteres Mal den Pilgerweg angehen wollen? Mika zögert. Momentan eher nicht. „Ich würde gerne mal den Küstenweg des Jakobswegs fahren“, meint hingegen Christian Wagner. „Santiago war für uns das Ziel einer Reise, aber auch der Anfang einer Erinnerung, die uns niemand nehmen kann. Es war eine Reise, die uns körperlich forderte, geistig bereicherte und uns als Vater und Sohn tief verbunden hat.

 

Unsere Fahrräder haben uns getragen – aber es war vor allem die Verbindung zwischen uns, die diese Pilgerfahrt so besonders gemacht hat.“