Herberge auf Zeit

Vor zehn Jahren bauten die Malteser in Celle-Scheuen eine Notunterkunft für Geflüchtete auf

Bild aus den Tagen des Aufbaus. Lukas/Malteser
Bild aus den Tagen des Aufbaus. Lukas/Malteser

29.08.2025

 

(Hildesheim/Celle/mhd). Eine kleine Mailnachricht hatte große Folgen: Am Freitag, 4. September 2015 um genau 18.09 Uhr beauftragte das Niedersächsische Innenministerium die Malteser in der Diözese Hildesheim per E-Mail, in weniger als drei Tagen auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne von Celle-Scheuen eine Notunterkunft für 500 Geflüchtete aufzubauen – buchstäblich auf der grünen Wiese! Die folgenden Monate sahen einen gewaltigen Kraftakt der Malteser im Verbund mit anderen Hilfswilligen, auf den die Malteser bis heute stolz sind.

 

An ein ruhiges Wochenende war nach Eintreffen der damaligen Mail natürlich nicht zu denken. Auch wenn die Nachricht aus dem Innenministerium nicht unerwartet kam, so mussten nun auf die Schnelle innerhalb weniger Stunden Material und Menschen mobilisiert werden. Etwa 60 Zelte mit Holzfußböden wurden bis zum folgenden Montagabend auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne aufgebaut, 40 Dixitoiletten waren geordert, 20 Duschmöglichkeiten geplant. Um das offene Gelände der Niedersächsischen Akademie für Brand- und Katastrophenschutz (NABK) regenfest und damit überhaupt begehbar zu machen, verteilten Radlader rund 500 Tonnen Mulch und Kies auf der feuchten Wiese.

 

Unterstützt wurden die Malteser dabei durch andere Hilfsdienste. Rund 250 Helfer waren an jenem Wochenende vor Ort, darunter etwa 80 Malteser. Die anderen Hilfskräfte kamen vom Technischen Hilfswerk (THW), der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) und der Freiwilligen Feuerwehr Celle. Mehrere Zelte stellte das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Auch Malteser aus anderen Teilen Niedersachsens, zum Beispiel Osnabrück, trugen zu dieser großen Gemeinschaftsleistung bei.

 

Um diese gewaltige logistische Aufgabe zu meistern, gründeten die Malteser damals einen Krisenstab unter Leitung von Jens Engel, in jenen Tagen stellvertretender Geschäftsführer der Malteser in der Diözese Hildesheim und heute Geschäftsführer dort. Noch heute erinnert sich Engel, der damals selbst kaum zum Schlafen kam, gerne daran, welche Kräfte dieser Auftrag freisetzte: „Das Wochenende des Aufbaus war kalt und regnerisch, trotzdem haben sich haupt- und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer mit Begeisterung dieser Aufgabe gestellt und oft bis zur Erschöpfung gearbeitet.“ Als am folgenden Dienstag, 8. September 2015, die ersten Geflüchteten eintrafen, stand im Großen und Ganzen die Infrastruktur einer Notunterkunft, veränderte sich in den folgenden Monaten aber stark: Die Zelte erhielten eine Zeltheizung und wurden später Stück für Stück durch Holzhütten ersetzt.

 

Zugleich kam die Zivilgesellschaft Celles immer stärker ins Spiel: Ehrenamtliche engagierten sich in der Betreuung von Kindern, kümmerten sich um die Frauen, luden die Geflüchteten zu Sportveranstaltungen ein und spendeten Geld und Kleidung. Später entstanden improvisierte Schulklassen, um den Zugewanderten erste Deutschkenntnisse zu vermitteln.

 

Dank der offenen Besuchs- und Medienpolitik der Malteser wurde die Notunterkunft in Celle-Scheuen bald zu einem Anziehungspunkt für Interessierte aus Politik, Kirchen und Medien: Lokal- und Bundespolitiker, Bischöfe und Journalisten aus Presse, Funk und Fernsehen meldeten sich an und ließen sich über das Gelände führen. Selbst eine chinesische Delegation besuchte die Notunterkunft, um zivilgesellschaftliche Strukturen in Deutschland kennenzulernen.

 

Als die letzten 19 Flüchtlinge am 28. Juni 2016 die Notunterkunft verließen, da hatten insgesamt 3.104 Männer, Frauen und Kinder jeden Alters die Unterkunft der Malteser durchlaufen, betreut von rund 140 Hauptamtlichen und 130 Ehrenamtlichen. Nicht wenige dieser Ehemaligen engagieren sich bis heute bei den Maltesern, einige wurden in den hauptamtlichen Dienst übernommen. Nach einer bewegenden Abschlussfeier am 4. Juli 2016 wurde die Notunterkunft zurückgebaut und das Gelände am 6. September wieder an die Akademie für Brand- und Katastrophenschutz (NABK) zurückgegeben.

 

Was ist geblieben? Für Jens Engel, den damaligen Leiter des Krisenstabs, war dieser Einsatz ein gewaltiger Praxistest für die Strukturen der Malteser. Der Aufbau eines Krisenstabs habe sich bewährt, sagt der heutige Geschäftsführer der Malteser, „aus kleineren Schwächen konnten wir lernen.“ Max Freiherr von Boeselager, ehrenamtlicher Diözesanleiter der Malteser in der Diözese Hildesheim und damit oberster Repräsentant der Malteser dort, sieht unter anderem die positiven Folgen für das kollektive Selbstbewusstsein des katholisch geprägten Hilfsdienstes, denn „was unsere Ehrenamtlichen im Katastrophenschutz jahrelang theoretisch gelernt hatten, konnten sie nun in einem großen Maßstab praktisch einsetzen.“ Dieser gewaltige Motivationsschub wirke bis heute.

 

Darüber hinaus erinnert Max von Boeselager, der wie seine Frau, Malteser-Diözesanoberin Marie-Rose Freifrau von Boeselager, dem Malteserorden angehört, an die ordensgeschichtliche Dimension der Notunterkunft in Celle-Scheuen: „Indem wir den Menschen dort eine Herberge auf Zeit geschenkt haben, konnten wir an die Ursprünge der Malteser anknüpfen, die im 11. Jahrhundert ein Hospiz in Jerusalem führten.“

 

An der Diskussion, ob Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen im Sinne der früheren Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geschafft habe, wollen sich weder Engel noch von Boeselager beteiligen. „Unsere Helferinnen und Helfer haben vor zehn Jahren mehr als 3000 Menschen versorgt und damit deren Überleben gesichert,“ sagt Engel im Rückblick, „das zählt und darauf können wir stolz sein.“ Von Boeselager erinnert an den jahrhundertealten Ordensauftrag der Malteser, den Glauben zu bezeugen und den Bedürftigen zu helfen. „Diesem Auftrag sind wir gefolgt und würden das jederzeit wieder so tun. Über alles andere mögen zukünftige Historiker urteilen!“