20 ukrainische Jugendliche aus Partnerstadt Isjum erleben Ferienfreizeit in Trier: Ein wenig Normalität und Frieden

Johannes Kolz (Mitte) bei der Übersetzung. Foto:  © Simone Bastreri
Johannes Kolz (Mitte) bei der Übersetzung. Foto: © Simone Bastreri

21.07.2025

 

20 ukrainische Jugendliche sind derzeit in Trier zu Gast. Sie kommen aus Isjum, seit 2024 Partnerstadt Triers.

 

Von Simone Bastreri

 

(Trier/Isjum/sb) – Der tiefe Bass eines Charts-Hits wummert durch den Saal des Robert-Schuman-Hauses auf dem Trierer Markusberg. Gemeindereferentin Christiane Herrig schaut den 20 Jugendlichen zu, die ein paar Meter von ihr entfernt eine Hiphop-Choreografie einstudieren. „Heute sind sie zum ersten Mal richtig locker und gelöst – man merkt, dass sie sich Vieles von der Seele getanzt haben“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Jacqueline Maron vom Jugendhaus des Bistums Trier leitet sie die Ferienfreizeit, an der die 13- bis 17-Jährigen teilnehmen. Jugendfreizeiten gibt es in den Sommerferien zahlreich, aber wohl nur eine wie diese. Denn die Jungen und Mädchen kommen aus Isjum im Osten der Ukraine, seit 2024 Partnerstadt von Trier. Ihre Heimatstadt war 2022 sechs Monate lang von russischen Soldaten besetzt und ist heute zu 80 Prozent zerstört. Der seit drei Jahren währende russische Angriffskrieg bestimmt das Leben: Sirenen, Fliegeralarm, im Keller und Bunkern ausharren, Tretminen auf den Feldern vor der Stadt. Die Jugendlichen sind auf Einladung der Stadt Trier hier, die die Freizeit finanziert. In Kooperation führt das Jugendhaus des Bistums das Programm durch und wird dabei unterstützt von Ehrenamtlichen aus fünf Hilfsvereinen, die sich als Dolmetscher*innen und Ansprechpartner*innen engagieren.

 

 

Veronika, Anna und Igor. Foto:  © Simone Bastreri
Veronika, Anna und Igor. Foto: © Simone Bastreri

 

Eine gestohlene Jugend

Die Jugendlichen, die von fünf verschiedenen Schulen kommen, kannten sich vor der Fahrt nicht – eine Schulsozialarbeiterin vor Ort machte Vorschläge, wer nach Trier mitfahren solle. In einer großen Gruppe gemeinsam unterwegs zu sein, sei eine völlig neue Erfahrung, berichtet Pädagogin Maron: „Erst konnten sie durch die Corona-Pandemie nicht zur Schule, dann kam der Krieg. Seit sechs Jahren wird ihnen eine normale Jugend verwehrt.“ Ihre Schulen: allesamt zerstört. Die Schüler im Osten der Ukraine werden größtenteils online unterrichtet und erleben nicht das, was die Schul- und Jugendzeit eigentlich ausmacht: den Klassenzusammenhalt, die Gespräche, das Spielen auf dem Schulhof, gemeinsame Ausflüge oder Projekte. Und was ist in ihrer Freizeit möglich? „Da treffen wir uns mit Freunden und gehen irgendwo hin“, sagt die 14-jährige Anna. „Irgendwo“ bedeutet entweder zu Freunden nach Hause, auf die Straße oder in leerstehende, zerbombte Häuser – denn Kinos, Clubs oder Jugendzentren existieren nicht mehr. Auf die Frage, ob es überhaupt noch schöne Orte in ihrer Heimatstadt gebe, antwortet Deutsch-Lehrerin Liubov Veprytska, die mit ihrer Kollegin Iryna Tkachenko die Jugendlichen begleitet: „Es gibt eine Art Marktplatz mit einem Brunnen und Rosen drumherum. Dort kommen am Wochenende manchmal Soldaten hin, wenn sie frei haben, um einfach nochmal etwas Schönes zu sehen, nicht immer nur die Eindrücke von der Front.“

 

Ein bisschen Frieden und Ruhe

Etwas anderes, schönes erleben – diese Idee steckt auch hinter der Ferienfreizeit, die nach 2024 zum zweiten Mal stattfindet. Eine Wanderung zu den Sirzenicher Wasserfällen, ein Ausflug in den Eifelpark, der Hiphop-Workshop oder ein Zeichenkurs bei dem bekannten Trierer Cartoonisten Johannes Kolz: All das soll den jungen Leuten ein wenig Ablenkung verschaffen, sie für eine Weile aufatmen lassen. Auch, wenn allen Beteiligten bewusst ist, dass diese Momente nur kurz währen. Für Anna und ihre neuen Freunde Veronika (16) und Igor (16) ist es vor allem die Ruhe, die Entspannung, die ihnen guttue, sagen sie. „Wir können hier ruhig schlafen, wir müssen nicht dauernd Angst vor Fliegeralarm haben.“ Wie tief diese Angst steckt, haben Christiane Herrig und die Ehrenamtlichen gespürt, als ein Ausflug ins benachbarte Luxemburg mit dem nahegelegenen Flughafen anstand. Zuerst seien die Blicke bei jedem Flugzeug ängstlich nach oben gegangen, bis irgendwann eine gewisse Gewöhnung einsetzte, so Herrig. Und als im Eifelpark die Feuerwehrsirene des Ortes losging, hätten sich die Jugendlichen im ersten Augenblick nach Schutzmöglichkeiten umgesehen. „Was dieser Krieg mit ihnen macht, können wir uns hier gar nicht richtig vorstellen. Allein die Dauerbeschallung durch Drohnen, die wie ein Rasenmähergeräusch klingen, oder durch Sirenen“, berichtet Tobias Schneider. Er setzt sich mit der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft e.V. seit drei Jahren unter anderem durch Hilfstransporte und Hilfestellung in Deutschland für Ukrainer ein. Auf Vorschlag des Vereins kam es auch zu der Partnerschaftsvereinbarung zwischen Isjum und Trier im Mai 2024.

 

Hoffnung und Zuversicht schaffen

Was der Gruppe besonders gut gefällt, ist die schöne, intakte Natur rund um Trier, betonen die Jugendlichen und ihre Betreuerinnen. So ist etwa Liubov Veprytska begeistert von den vielen Blumen in der Trierer Innenstadt. Blumen prägen auch das Leben von Anna Stetska, die selbst vor drei Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam und sich seither als Ehrenamtliche engagiert. Inzwischen arbeitet die 26-Jährige als Floristin in Trier und hat „viele wunderschöne, nette Menschen und Kollegen getroffen“, lächelt sie. Den wichtigsten Satz, der ihr Gänsehaut verursachte, habe ihre Mutter ihr mit auf den Weg gegeben. „Sie sagte, sie hat schon so viel erlebt, sie bleibt in der Ukraine. Aber ich bin noch jung, ich soll weggehen und mir ein Leben aufbauen.“ Für viele Ukrainer, auch für die Jugendlichen der Reisegruppe, sei das aber finanziell oder aus anderen Gründen nicht möglich. Einige hätten ihre Eltern verloren, ein Junge lebe etwa bei einer alten Nachbarin, die ihn aufgenommen hat. Stetska begleitet die Gruppe, dolmetscht, versucht, in tiefergehenden Gesprächen für die Jugendlichen da zu sein. Die Schüler und ihre Betreuerinnen würden nicht müde, dauernd „Danke“ zu sagen, „dabei ist es das Mindeste, was wir tun können, und wir alle würden gerne viel mehr bewegen“, sagt Gemeindereferentin Herrig. „Die Freizeit ist nur eine kleine Hilfe und viele Jugendliche aus Isjum haben nicht die Chance, hier zu sein“, sagt Maron. „Aber für die 20 Jugendlichen, die bei uns zu Gast sind, macht es einen Unterschied – sie erleben zwei Wochen lang, wie sich Frieden anfühlt und können davon zu Hause erzählen – das kann Hoffnung und Zuversicht auch zu Hause schaffen.“

 

Info

Die Ferienfreizeit für 20 ukrainische Jugendlichen wird zum zweiten Mal finanziert von der Stadt Trier, das pädagogische Programm wird durchgeführt vom Jugendhaus des Bistums Trier. Am Programm beteiligt sind die Vereine Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Trier, Netzwerkhafen Ukraine, Deutsch-Ukrainische Kulturbrücke, Ukrainisch-Deutscher Verein „Dach“ und Ukrainer in Trier e.V.