23.09.2025
(Stuttgart-Hohenheim/uh) - Ob
Menschen im fortgeschrittenen Erwerbsalter Freundschaften im Job pflegen oder sich eher zurückziehen, ist keine Frage des Alters, sondern der beruflichen Perspektive. Das zeigt eine Studie der
beiden Professorinnen Ulrike Fasbender von der Universität Hohenheim in Stuttgart und Nina M. Junker von der Universität Oslo. Dazu befragten die beiden Arbeitspsychologinnen 902 Beschäftigte
zwischen 50 und 67 Jahren. Entscheidend ist demnach, wie Menschen die eigene Zukunft im Job wahrnehmen: Wer Chancen sieht, etwa durch Lernmöglichkeiten, neue Projekte oder Mentoring, investiert
stärker in Beziehungen. Wer dagegen innerlich bereits mit dem Beruf abgeschlossen hat, zieht sich eher zurück. Führungskräfte sollten das berücksichtigen.
Die Belegschaften werden immer älter. Für Unternehmen kann das Chance und Herausforderung zugleich sein. Denn Freundschaften am Arbeitsplatz gelten als wichtige Ressource: Sie stärken das
Wohlbefinden, fördern Vertrauen und Zusammenarbeit im Job und tragen dazu bei, dass Wissen im Unternehmen erhalten bleibt. Doch wie verändern sich diese Bindungen, wenn Beschäftigte älter werden
und sich dem Ruhestand nähern?
„Zwei Kolleginnen. Beide am Ende des Berufslebens, gleiches Alter, ähnliche Aufgaben und doch völlig verschiedene Dynamiken im jeweiligen Team. Warum blühen hier Freundschaften auf, während sie
anderswo leiser werden?“, beschreibt Professorin Fasbender vom Fachgebiet Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Hohenheim die Problemstellung. „Genau solche Gegensätze
sehen wir häufiger, und sie werfen die größere Frage auf: Wovon hängen Arbeitsfreundschaften im späten Erwerbsleben wirklich ab?“
Sind Arbeitsfreundschaften „nichts für Ältere“ – oder wovon hängt ihr Fortbestand ab?
„Uns fiel auf, dass frühere Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen kamen: Mal scheinen ältere Beschäftigte mehr Freundschaften zu pflegen, mal weniger, mal zeigt sich gar kein Zusammenhang“, so
die Arbeitspsychologin. Diesem Rätsel wollten die beiden Professorinnen Ulrike Fasbender und Nina M. Junker auf die Spur kommen.
Unter der Frage: „Sind Arbeitsfreundschaften ‚nichts für Ältere‘ – oder wovon hängt ihr Fortbestand ab?“ untersuchten sie, welche Faktoren hinter den Gegensätzen stecken und wie sie
zusammenwirken. Dazu befragten sie 902 Vollzeitbeschäftigte in Großbritannien im Alter von 50 bis 67 Jahren. Die Daten wurden in drei Befragungswellen im Abstand von jeweils zwei Wochen
erhoben.
Der Schlüssel: berufliche Zukunftsperspektive
Das klare, aber überraschende Ergebnis: Nicht das Alter an sich entscheidet. Viel wichtiger ist die wahrgenommene berufliche Zukunftsperspektive. „Gemeint ist damit ausdrücklich nicht die
kalendarische Zahl der Jahre bis zur Rente“, stellt Professorin Fasbender klar.
„Zwei Personen mit objektiv zwei Jahren bis zum Ruhestand können ihre Zukunft völlig unterschiedlich erleben. Die eine sieht Lernchancen, spannende Projekte und vielleicht eine Rolle als
Mentor:in – ihre Zukunft wirkt offen und bedeutungsvoll. Die andere zählt innerlich schon die Tage bis zur Rente, spürt kaum noch Möglichkeiten und zieht sich zurück“, beschreibt die
Expertin.
Diese subjektive Zukunftssicht nennen die Forschenden „berufliche Zukunftsperspektive“. „Sie umfasst, wie lang und offen sich die berufliche Zukunft anfühlt und ob jemand noch Chancen sieht,
Ziele zu verfolgen“, erklärt die Arbeitspsychologin. „Genau das ist der zentrale Aspekt in unserer Studie. Damit lassen sich die Ergebnisse besser erklären als mit dem kalendarischen Alter. Was
wiederum auch die unterschiedlichen Ergebnisse aus der Vergangenheit erklärt.“
Zwei gegensätzliche Prozesse: Nähe und Rückzug ...
Sinkt die wahrgenommene Zukunftsperspektive, treten zwei gegensätzliche Prozesse gleichzeitig in Gang. Auf der einen Seite wächst bei manchen der Wunsch nach Nähe und guter gemeinsamer
Zeit: Die Menschen investieren bewusster in Gespräche, Vertrauen und Unterstützung, Freundschaften gewinnen an Tiefe. Die Wissenschaftlerinnen nennen dies „Prozess der sozio-emotionalen
Nähe“.
Auf der anderen Seite nimmt bei manchen der Rückzug aus dem Job zu: Die Person kapselt sich eher ab, vermeidet zusätzlichen sozialen Aufwand und reduziert freiwilligen Austausch – die Forschenden
bezeichnen dies als „Prozess des arbeitsbezogenen Rückzugs“. „Beide Prozesse existieren nebeneinander. Daher hat das Alter allein keinen signifikanten Gesamteffekt“, so Professorin
Fasbender.
… ein Hebel: persönliche Präferenz
„Welche dieser beiden Kräfte überwiegt, hängt entscheidend von den individuellen Vorlieben ab: Wer außerberufliche Freundschaften wichtiger findet als solche mit den Kolleg:innen, neigt stärker
dazu, sich mit steigendem Alter und abnehmender Zukunftsperspektive im Job zurückzuziehen“, fährt sie fort.
Wichtig hierbei: Diese Präferenz verstärkt ausschließlich den Rückzugs-Pfad. Der Nähe-Pfad wird davon nicht beeinflusst. „Das passt zu unserer Alltagserfahrung“, sagt die Expertin: „Wer sein
soziales Leben hauptsächlich außerhalb der Arbeit verankert, baut betriebliche Kontakte eher ab, wenn die berufliche Zukunft kleiner erscheint.“
Insgesamt sind also drei psychologische Vorgänge entscheidend für die Arbeitsfreundschaften bei Älteren: der Nähe-Pfad, der Rückzugs-Pfad und der Vorzug von Freundschaften auf der Arbeit
gegenüber denjenigen außerhalb des Jobs. „Die wahrgenommene Zukunftsperspektive schaltet die beiden ersten Prozesse an. Die persönliche Vorliebe entscheidet dann, welcher davon dominiert“, fasst
sie zusammen.
Was heißt das für die Praxis?
„Daraus ergibt sich für Führungskräfte und Personalverantwortliche ein anderes zentrales Arbeitsfeld als bisher“, so die Arbeitspsychologin. „Wenn Organisationen spürbare Perspektiven bieten, wie
zum Beispiel Lerngelegenheiten, Projektverantwortung, Coaching- und Mentoring-Programme oder klare Übergabepfade, sinkt das Risiko eines stillen Rückzugs, und Beziehungen bleiben lebendig.“
Ebenso wichtig sei die soziale Qualität im Arbeitsalltag: Räume und Rituale, die echten Austausch ermöglichen, statt ihn als „Zeitfresser“ zu behandeln. Und wer wisse, dass jemand sein soziales
Netzwerk vor allem außerhalb des Jobs pflege, sollte den Übergang bewusst gestalten: geplante Tandems, Wissensweitergabe, Alumni-Anbindung.
„Am Ende geht es um Prioritäten“, meint sie. „Wer Arbeitsfreundschaften wichtig findet, plant feste Zeiten für kurze Gespräche, gemeinsame Reflexionen und kleine gemeinsame Aufgaben ein. Wer
seinen Schwerpunkt außerhalb der Arbeit sieht, sollte den Abschied sozial fair gestalten: Wissen sammeln, Übergaben klären, Erreichbarkeit festhalten.“ So blieben Beziehungen und Wissen im
Unternehmen, lautet das Fazit der Forscherinnen.
Weitere Informationen
Fasbender, U., & Junker, N. M. (2025). Are Workplace Friendships Nothing for Older Workers? Decoding the Psychological Mechanisms Linking Age to Workplace
Friendship. Journal of Organizational Behavior, 1–20. https://doi.org/10.1002/job.70014
Text: Gehrig / Stuhlemmer
Autor: Universität Hohenheim /Gehrig / Stuhlemmer, zusammengestellt von Gert Holle - 23.09.2025