14.08.2025
Von Hartmut Salzmann
(Paderborn/hs/bfw) - Surfbretter sind wackelig, rutschig und ohne Übung schwer zu kontrollieren – erst recht, wenn der Wind von allen Seiten kommt. Im Leben ist es ähnlich: Manchmal stehen wir unsicher, die Balance fehlt. Es zieht uns die Beine weg. Das Exerzitien-Angebot „Surf&Soul“ verknüpft diese zwei Welten und kombiniert Wassersport mit ignatianischen Exerzitien. Das Bonifatiuswerk fördert das innovative Glaubensprojekt mit 3000 Euro.
Sanftes Morgenlicht umhüllt das Begegnungshaus St. Otto auf Usedom. Die Ruhe wird nur vom frechen Rufen der Möwen unterbrochen. In einem Meditationsraum suchen ein Mann und zehn Frauen nach einem Ort der Stille in sich selbst. Kniend, sitzend, liegend. Unter der Anleitung von Pastoralreferentin Esther Göbel widmen sie sich ignatianischer Exerzitien, deren Rituale Jahrhunderte alt und doch erfrischend neu sind. „Spür in dich hinein. Wie bist du mit dem Boden in Kontakt? Wo fühlst du Verspannungen?“ Theologin Göbel fordert die Runde mit sanfter Stimme zum „Body-Scan“ auf. „Einatmen, ausatmen.“ Einatmen wie eine Welle, die auf den Strand rollt. Ausatmen, wie das Wasser, das langsam zurückfließt und wieder Teil des Meeres wird. Die Gedanken sammeln sich im eigenen Zentrum. Was zählt, ist das Jetzt und Hier. Und die Verbindung zum Göttlichen: „Stell dir einen goldenen Faden vor, der dich mit dem Himmel verbindet und dich aufrichtet“, sagt Esther Göbel leise. Irgendwann ist sie spürbar – die innere Balance, die hilft, oben zu bleiben, wenn unter dir die Wellen schwanken.
Mit den BONI-Bussen erreicht die Gruppe die „Surfbude“ im wenige Kilometer entfernten Ückeritz. Surf-Instruktorin Esther Göbel zeigt an einem handgroßen Surfbrett-Modell das Spiel mit dem Wind: „Ich muss mein Segel immer in den relativen Wind halten, damit es optimal angeströmt wird.“ Sie teilt ihr Wissen über Luv und Lee, Backbord und Steuerbord, Schothorn und Halse. Man spricht Seemannssprache. Wer aufs Brett will, muss vorher Vokabeln lernen.
Jede und jeder schlüpft in den Neoprenanzug und greift sich ein Board. Dann geht es endlich ins Wasser. Auf dem schmalen Brett beginnt das Ringen um Balance und ums Vorankommen. Wieder und wieder fallen die Surfanfängerinnen ins Wasser. Dem einen Anfänger geht es nicht anders. Auch wenn das Achterwasser von Ückeritz 1,30 Meter flaches Stehrevier ist – sich immer wieder auf das instabile Ding aus Kunststoff zu hieven, kostet Kraft und Körner. Manche kommen an ihre Grenzen – körperlich und emotional. Doch mit jedem Versuch wächst die Entschlossenheit. Was für ein Glücksgefühl, wenn der Wind ins Segel bläst und sich das Brett nach vorne bewegt. Esther Göbel: „Die meisten rechnen nicht damit, dass sie am ersten Tag auf dem Brett stehen können und durch die Gegend fahren.“ So erlebt es auch Teilnehmerin Friederike Strugholtz, die schon zum zweiten Mal dabei ist: „Am Anfang ist viel Frust dabei. Aber es ist ein inneres Fest, aufstehen zu können, ohne ins Wasser zu fallen.“ Der Kreis schließt sich: Die innere Stärke, die während der Exerzitien Nahrung gefunden hat, wird zur äußeren Kraft auf dem Wasser.
Der „Soul“-Anteil des fünftägigen Angebots enthält viele Elemente Ignatianischer Exerzitien. Pastoralreferentin Esther Göbel: „Ignatius fordert uns heraus, nach dem Mehr zu fragen – nicht in quantitativer Hinsicht. Es geht um die qualitative Suche nach einem ,Mehr‘ an Glaube, Liebe, Hoffnung. Was führt mich dahin, dass ich vertrauensvoll mit meinem Gott an der Seite gehen kann und Vertrauen zu mir und meinen Mitmenschen habe?“ Ignatianische Exerzitien gehen zurück auf das 16. Jahrhundert. Esther Göbel hat Respekt vor diesem tiefgeistlichen spirituellen Erbe. Sie will daher die Exerzitien nicht einfach mit irgendeinem „Spaßfaktor“ aufmöbeln. Aber ebenso will sie die Brücke in die Jetzt-Zeit schlagen und traditionelle Formen der Kontemplation neu wenden: „Ignatius hat gesagt: Gott suchen und finden wir in allen Dingen, warum nicht auch beim Surfen?!“
Ab und zu stellt die 45-jährige Berlinerin kleine Aufgaben, mit denen sich die Teilnehmerinnen nach der Morgenrunde auf dem eignen Zimmer, in der Kapelle oder am Strand in die Stille begeben. Die einen setzen sich mit einer Bibelstelle auseinander. Andere fragen sich, wie sie die Energie und den festen Willen, die sie auf dem Brett stehen ließ, ins Alltagsleben retten. Friederike Strugholtz: „Ich lerne hier, Dinge einfach mal sein zu lassen, das Segel fallen zu lassen. Und nicht auf Biegen und Brechen zu halten. Ganz entspannt neu beginnen – und damit zufriedener zu sein.“ Esther Göbel nickt: „Im Kern geht es darum, die Erfahrungen, die ich hier beim Wassersport mache, zu nutzen, um mein eigenes Leben und meine Verhaltensmuster zu hinterfragen. “
Am Ende des Tages kehrt die Gruppe zurück in den Meditationsraum. Die Stille dort ist nun eine andere – es ist die Stille der Reflexion über das Erlebte. Zwischen Frust und Freude kreisen die Gedanken. „Surf & Soul“ ist mehr als ein Seminar – es ist eine Reise zu sich selbst, begleitet vom Rhythmus des Meeres und dem Echo des Glaubens.
Esther Göbel
lebt ihre Spiritualität und ihren Sport. Wenn sie frei mit dem Brett dahingleitet, sind ihre Gedanken oft bei Gott. Ob er wohl auch gerne surft? Das zu beantworten, maßt sie sich nicht an. Aber:
„In meinen Kursen bringt ich manchmal die Stelle vom Seewandel, wo Jesus nachts bei stürmischer See übers Wasser geht und seinen Jüngern zu Hilfe eilt. Vielleicht ist er ja gesurft. Man weiß es
nicht.“
Hintergrund
Ignatianische Exerzitien sind geistliche Übungen, die vom heiligen Ignatius von Loyola (1491-1556) entwickelt wurden. In Meditation, Gebet und Stille reflektieren Teilnehmende über ihr Leben und
die Beziehung zu Gott. Ziel ist eine tiefe Glaubenserfahrung und ein Mehr an innerer Freiheit– besonders im Hinblick auf wichtige Lebensentscheidungen.
Das Seminar Surf & Soul findet jährlich in Zinnowitz auf Usedom statt. Es richtet sich an Frauen und Männer ab 18 Jahren – mit und ohne Vorkenntnisse im Surfen, mit und ohne Verortung im Glauben. Die Ignatianischen Exerzitien finden in der katholischen Bildungsstätte St. Otto statt. Geleitet wird das Seminar von Esther Göbel, Pastoralreferentin, geistliche Begleiterin und durch den Verband Deutscher Wassersport Schulen geprüfte Instruktorin. Sie bietet zwischen fünf und acht Kurse pro Jahr an. Das Bonifatiuswerk unterstützt das Format im Rahmen seiner Projektförderung.
Text: Hartmut Salzmann
Weitere Infos: www.surfandsoul.de und www.bonifatiuswerk.de
Autor: Bonifatiuswerk / Hartmut Salzmann; zusammengestellt von Gert Holle - 14.08.2025