2.07.2024
(Heidelberg/dkdsr) - Am Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma entsteht eine museale Sammlung mit Objekten und Zeitzeugengesprächen. Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) in der Bildungsagenda NS-Unrecht gefördert. Bei der Pressekonferenz zur Projektvorstellung am 27. Juni 2024 mit einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Erinnerns und anschließendem Ausstellungsrundgang war auch der Holocaust-Überlebende Christian Pfeil zu Gast.
Sein Überleben glich einem „Wunder“. Von den dramatischen Umständen seiner Geburt im von den Nationalsozialisten besetzten Polen erzählte Christian Pfeil auf dem Podium. Ein Video zu seiner Lebensgeschichte ist in voller Länge auf einem der Bildschirme der Ausstellung zu sehen, die im Gewölbekeller des Dokumentationszentrums hängen. Seit 2022 befragt ein Expertenteam hier Zeitzeugen und sucht nach Objekten zur Geschichte von Sinti und Roma während und nach dem Holocaust, dem 500.000 Menschen zum Opfer fielen. Überlebende erfuhren häufig auch nach dem Ende der NS-Zeit Ausgrenzung und Vorurteile, so berichtet es Christian Pfeil von seiner Schulzeit. Viele von ihnen bauten sich dennoch, wie der Trierer Sänger und Gastronom, der erfolgreiche Restaurants führte, eine eigene berufliche Existenz auf.
Statt Klischees solle eine neue museale Sammlung diese Vielfalt der „Lebensrealität der Sinti und Roma“ abbilden, so der Vorsitzende des Dokumentationszentrums und Zentralrats Romani Rose. Damit lege sie „einen neuen Zugang zur Geschichte der Minderheit“. Auch Dr. Ralf Possekel, Leiter des Bereichs Förderung und Aktivitäten der EVZ, betonte die Bedeutung des Projekts, das ermögliche, bisher „unbekannte Geschichten“ zu erzählen. Ziel der Stiftung sei dabei, in der Erinnerung an „Schicksale und Erfahrungen der im Nationalsozialismus verfolgten Menschen und Gruppen“ auch „das kritische Gedächtnis Deutschlands zu stärken“. Einig waren sich alle Teilnehmer*innen der Diskussion, dass gerade in Zeiten wachsenden Antiziganismus und Rechtsradikalismus die NS-Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten dürfe.
Vera Tönsfeldt machte noch einmal deutlich, dass der nationalsozialistische Staat auf eine völlige Auslöschung von Menschen und ihrer Geschichte gezielt habe. Umso wichtiger sei es, „vergessene Gedächtnisse“ wieder sichtbar zu machen. „Das Recht und die Notwendigkeit des selbstbestimmten Erinnerns sind ein Grundwert unserer Demokratie“, so die Leiterin des Projekts.
In der Ausstellung, die im Anschluss an Pressegespräch und Podiumsdiskussion begangen wurde, bündeln thematisch geordnete Stationen Geschichte jenseits von Stereotypisierung. In einer Vitrine liegen „Beweise des Unrechts“ – Zeitungsartikel über die Verbrechen der Nazis. Viele Überlebende versuchten das, was in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik lange verleugnet war, schwarz auf weiß zu archivieren. Familienerinnerungen wie Fotos geben Einblick in persönliche Schicksale zwischen Überleben, Ausgrenzung, Neuanfang und Identität. Franz-Elias Schneck hat dem Projekt einen eleganten Stuhl überlassen, der 1937 neu im Haus seiner Großeltern stand. Im Interview erklärt der Student, der seine eigene Familiengeschichte erforscht und sich für die Rechte von Sinti und Roma einsetzt, wie wichtig ihm die „Gebrauchsspuren“ des Möbelstücks sind: Zeugnisse eines bedrohten Zuhauseseins in der Zeit der Verfolgung. In den Kunstwerken des Österreichers Alfred Ullrich ist das Trauma der NS-Vergangenheit mal ironisch, mal subtil, präsent, eingefangen etwa in Rußpartikeln vor schimmerndem Grund. Fotos von französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg zeugen von der großen Identifikation vieler Sinti und Roma mit den Staaten, in denen sie sich zuhause glaubten. Gegen den dennoch fortwährenden Ausschluss bis hin zur verleugneten NS-Verfolgung mahnt ein Demonstrationsplakat von 1985: „Der Geist der Rassenpolitik ist noch nicht zu Ende“. Objekte wie Opernfracks, Dirigentenschuhe und Gemälde machen kulturelle Leistungen der seit 600 Jahren zu Europa gehörenden Minderheit sichtbar und öffnen gedanklich einen gemeinsamen Raum in eine Zukunft jenseits von Ausgrenzung.
Die Ausstellung „Das vergessene Gedächtnis” ist noch bis zum 18. August 2024 in der Bremeneckgasse 2 in Heidelberg zu sehen. Der Eintritt ist frei.