1939: Flucht jüdisch-polnischer Kinder durch Zentralasien und den Nahen Osten

Die Kinder von Teheran

Foto: wbgTheiss
Foto: wbgTheiss

›Teheran Children‹ – so nannte man die jüdischen Kinder, die aus dem von den Nazis besetzten Polen über Russland, Usbekistan und Kasachstan in den Iran flohen und schließlich das von Großbritannien kontrollierte Palästina erreichten. Zu diesen Kindern gehörten auch der Vater, die Cousine und die Tante der Autorin Mikhal Dekel, die in »Die Kinder von Teheran. Eine lange Flucht vor dem Holocaust« der rund 13.000 Meilen langen Flucht ihres Vaters, des kleinen Jungen aus Polen, nachspürt.

Und obwohl ich es noch nicht wusste, (…) war der Iran des Jahres 1942 der Ort gewesen, wo und als mein Vater aufhörte, ein „polnischer Jude“ zu sein, und stattdessen begann, eine neue, jüdisch-israelische Identität anzunehmen – die einzige, die ich kennengelernt hatte.
Mikhal Dekel

 

Dekel hat sich auf die Spuren der Fluchtroute der ›Teheran Children‹ begeben: Nach Ostrów Mazowiecka, dem Geburtsort ihres Vaters, in die ehemals sowjetischen Grenzstädte, dann weiter nach Usbekistan, wo er an Bord eines Schiffes mit Ziel Iran gegangen war, bevor er nach Indien und schließlich in das britische Mandatsgebiet Palästina kam. Weit über eine Millionen polnische Juden flohen 1939 Richtung Osten durch die Sowjetunion und fanden Zuflucht in muslimischen Ländern. Ein Aspekt der Judenverfolgung, der bisher noch nie vollständig erzählt wurde.

 

Dekels großartiges Epos dieser Flucht-Odyssee von Osteuropa über die Sowjetunion, Zentralasien, Iran und Indien nach Palästina ist nicht nur ein historisches Buch. Es zeigt für heutige Leser auch schonungslos auf, was sich heute in der Türkei und auf griechischen Inseln vor der Haustür Europas abspielt und was wir den Menschen schulden, die ihren staatlichen Schutz verloren haben. Aller Rechte beraubt sind sie auf ihre nackte Existenz reduziert, bis sie ein Land finden, das ihnen den Schutz und die Rechte gewährt, die die Grundlage für jede menschliche Existenz bilden. Das Entscheidende dabei ist der Perspektivenwechsel, zu dem uns die Autorin verhilft. Wir schauen nicht auf die Flüchtlinge, sondern sehen die Welt mit ihren Augen.
Aleida Assmann

Mit literarischer Eleganz präsentiert Dekel in »Die Kinder von Teheran« eine einzigartige Erzählung, in deren Zentrum die Geflüchteten mit ihren ganz persönlichen Geschichten stehen. Der Schauplatz ist nicht Europa, sondern Zentralasien und der Nahe Osten, wodurch eine bisher kaum beachtete Perspektive auf den Holocaust ihre Erzählung findet.

 

Mikhal Dekel ist Professorin für Englische und Vergleichende Literaturwissenschaft am City College und am Graduate Center der City University of New York. Sie wurde in Haifa, Israel, als Tochter eines Holocaust-Flüchtlings und einer Israeli geboren, absolvierte ihren obligatorischen siebenjährigen Militärdienst, bevor sie nach New York auswanderte und Literaturwissenschaften studierte.

Mikhal Dekel
»Die Kinder von Teheran. Eine lange Flucht vor dem Holocaust«
Mit einem Nachwort von Aleida Assmann
Aus dem Englischen von Tobias Gabel
wbg Theiss
464 Seiten
Erscheinungstermin: 28. April 2021
ISBN: 978-3-8062-4278-2

28 Euro

 

„Tehran Children“: die stellvertretende Lebensgeschichte eines jüdischen Flüchtlingskindes

Von Polen in den Iran ist es ein weiter Weg von mehr als 20 000 km. Kaum vorstellbar, dass fast 900 polnisch-jüdischen Kindern diese Route bewältigen mussten. Doch genau auf diesen verschlungenen Pfaden entkam der Vater der Autorin der Judenverfolgung durch die Nazis. Zeit seines Lebens sprach er nicht darüber, was er im 2. Weltkrieg durchlebte: Flucht, Todesangst und die Hoffnung auf einen Neuanfang in einem unbekannten Land.

Seine Tochter zeichnet in berührender Weise den Weg des kleinen polnischen Flüchtlingsjungen nach - stellvertretend für die über eine Million Juden aus Polen, die über die Sowjetunion vor den Naziverbrechen flohen.

Eine Erzählung von literarischer Eleganz: Wer waren die „Kinder von Teheran“?

 

  • Stationen einer Flucht: Russland, Usbekistan, Kasachstan, Iran und schließlich Palästina
  • Spätfolgen des NS-Regimes: Was sieben Jahrzehnte Verdrängung in einer Familie bewirken
  • Spurensuche in den Archiven: Die Geschichte Israels und der Flüchtlinge des 2. Weltkriegs
  • Eine unbeachtete Folge des Holocaust: Wie Juden im Iran aufgenommen wurden

 

Die Biografie des Vaters führt zur Erforschung eines kaum bekannten Kapitels der Shoah

Mikhal Dekels Vater entkam den Nazis in Polen und überlebte den 2. Weltkrieg - doch die Konsequenzen seiner Kindheit blieben stets gegenwärtig. Gerade der Aspekt des Vergessen-Wollens beeinflusste die folgenden Generationen nachhaltig. Die Autorin hat sich in Archiven und in Gesprächen mit Zeitzeugen auf Spurensuche begeben. Schicht für Schicht legt sie ihre Familiengeschichte frei. So entstand eine einfühlsame Erzählung über Nächstenliebe, den Einfallsreichtum der jüdischen Hilfsorganisationen und über die Schrecken des 2. Weltkriegs. Ein Buch über den Holocaust, in dessen Mittelpunkt nicht das Konzentrationslager, sondern der Flüchtling steht, und dessen Schauplatz nicht Europa, sondern Zentralasien und der Nahe Osten ist!

Einen Eindruck von Mikhal Dekel und ihr Buch »Die Kinder von Teheran« können Sie sich unter folgendem Link machen:
MUSEUM OF JEWISH HERITAGE – A LIVING MEMORIAL TO THE HOLOCAUST. “Teheran Children” With Author Mikhal Dekel: https://www.youtube.com/watch?v=Sp22t6qlFyY

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Autor: wbgTheiss; zusammengestellt von Gert Holle - 5.05.2021